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Baudolino - Eco, U: Baudolino

Titel: Baudolino - Eco, U: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Deutschland zurück, aber Baudolino konnte nicht mitgehen. Er hatte die Nachricht erhalten, dass seine Mutter gestorben war. Er war sofort nach Alexandria aufgebrochen, und auf dem Weg dorthin dachte er an die Frau, die ihn zur Welt gebracht hatte und der gegenüber er nie eine echte Zärtlichkeit anden Tag gelegt hatte, außer in jener Weihnachtsnacht vor vielen Jahren, als das Lämmchen zur Welt kam (Donnerwetter, sagte er sich, mehr als fünfzehn Winter ist das schon her, mein Gott, vielleicht sogar achtzehn). Er traf ein, als seine Mutter schon begraben war, und fand Gagliaudo, der die Stadt verlassen und sich in sein altes Haus in der Frascheta zurückgezogen hatte.
    Er lag auf dem Bett, eine hölzerne Trinkschale voller Wein neben sich, entkräftet, nur ab und zu müde die Hand bewegend, um die Fliegen von seinem Gesicht zu verjagen. »Baudolino«, sagte er sofort, »zehnmal am Tag hab ich mich über diese arme Frau geärgert und zum Himmel gebetet, dass er sie mit einem Blitz niederstrecke. Und jetzt, wo der Himmel sie mir niedergestreckt hat, weiß ich nicht mehr aus noch ein. Hier im Haus finde ich nichts mehr, weil sie es war, die immer alles aufgeräumt hat. Ich finde nicht mal mehr die Mistgabel, um den Stall auszumisten, inzwischen haben die Viecher mehr Dünger als Heu. Drum hab ich beschlossen, jetzt auch zu sterben, weil das bestimmt besser ist.«
    Die Proteste des Sohnes halfen nichts. »Baudolino, du weißt, dass wir hier Dickschädel sind, wenn wir uns was in den Kopf gesetzt haben, dann kann uns nichts davon abbringen. Ich bin kein Rumtreiber wie du, der einen Tag hier und einen Tag da ist, ein feines Leben führt ihr Herren! Lauter Leute, die immer nur daran denken, wie sie die anderen umbringen können, aber wenn ihnen eines Tages gesagt wird, dass sie sterben müssen, dann machen sie sich ins Hemd. Ich dagegen hab gut gelebt, ohne einer Fliege was zuleide zu tun, an der Seite einer Frau, die eine Heilige war, und jetzt, wo ich beschlossen habe zu sterben, da sterbe ich. Lass mich gehen, wie ich will, und ich bin's zufrieden, denn wenn ich noch länger bleibe, wird's bloß noch schlimmer.«
    Ab und zu trank er einen Schluck Wein, dann legte er sich zurück und schlief eine Weile, dann wachte er wieder auf und fragte: »Bin ich tot?« – »Nein, Vater«, antwortete Baudolino, »zum Glück lebst du noch.« – »Oh, ich armer Mann«, seufzte der Alte, »noch einen Tag! Aber morgensterbe ich, sei ganz ruhig.« Er wollte keinen Happen anrühren.
    Baudolino strich ihm über die Stirn und verjagte die Fliegen, und da er nicht wusste, wie er seinen sterbenden Vater trösten sollte, und ihm auch zeigen wollte, dass er nicht der Esel war, für den er ihn immer gehalten hatte, erzählte er ihm von der heiligen Unternehmung, auf die er sich seit wer weiß wie langer Zeit vorbereitete, und wie er zum Reich des Priesters Johannes gelangen wollte. »Denk nur«, sagte er, »ich werde wunderbare Orte entdecken. Es gibt einen Platz, wo ein nie gesehener Vogel gedeiht, der Vogel Phönix, der immer fünfhundert Jahre lang lebt und fliegt. Immer wenn fünfhundert Jahre vergangen sind, richten die Priester einen Altar her, auf den sie Spezereien und Schwefel streuen, und dann kommt der Vogel und verbrennt sich und wird zu Asche. Am nächsten Morgen liegt eine Raupe in der Asche, am übernächsten ist es schon ein kleiner Vogel, und am dritten Tag fliegt dieser Vogel weg. Er ist nicht größer als ein Adler, auf dem Kopf hat er einen Federbusch wie ein Pfau, der Hals ist goldfarben, der Schnabel indigoblau, die Flügel purpurrot und der Schwanz gelb, grün und rot gestreift. Und so stirbt der Phönix nie.«
    »Alles Unsinn«, sagte Gagliaudo. »Mir würd's schon reichen, wenn du mir meine Rosina wiederauferstehen ließest, das arme Vieh, das ihr mir mit all dem verdorbenen Getreide erstickt habt. Das wär was anderes als dein Phönix!«
    »Wenn ich wiederkomme, bringe ich dir das Manna mit, das auf den Bergen des Landes von Hiob zu finden ist. Es ist weiß und sehr süß, es kommt aus dem Tau, der vom Himmel auf die Gräser fällt und dort gerinnt. Es reinigt das Blut und vertreibt die Trübsal.«
    »Alles Quatsch. Dummes Zeug, gut für diese Weichlinge am Hof, die Schnepfen und Mürbeteigkuchen essen.«
    »Willst du nicht wenigstens ein Stück Brot?«
    »Hab keine Zeit, muss morgen früh sterben.«
    Am folgenden Morgen erzählte ihm Baudolino, dass er dem Kaiser den Gradal schenken werde, den Kelch, aus dem der

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