Baudolino
Ein ruhmreicher Tod für diesen Kaiser, der, wenngleich schon alt, sich mit den Naturkräften mißt. Der Sohn wird entscheiden, ob nach Jerusalem weitergezogen oder
umgekehrt wird. Und wir können sagen, daß wir nach Indien weiterziehen wollen, um das letzte Gelübde unseres
verstorbenen Herrn zu erfüllen. Der Sohn glaubt ja, wie es scheint, nicht an den Gradal. Also nehmen wir ihn und gehen, um zu tun, was der Kaiser hatte tun wollen.«
»Aber das heißt, einen Tod vorzutäuschen«, sagte Baudolino mit verlorenem Blick.
»Ist er denn nicht tot? Er ist tot. So schmerzlich das für alle sein mag, er ist tot. Wir gehen doch nicht hin und erzählen, er sei gestorben, während er noch lebt. Er ist tot, Gott nehme ihn unter seine Heiligen auf. Wir sagen lediglich, er sei im Fluß ertrunken, unter freiem Himmel, nicht in diesem Zimmer, wo wir ihn hätten beschützen müssen. Lügen wir damit? Nur ein bißchen. Wenn er gestorben ist, was spielt es da für eine Rolle, ob er hier drinnen oder dort draußen gestorben ist? Haben wir ihn etwa umgebracht? Wir wissen alle, daß es nicht so war. Wir lassen ihn dort sterben, wo uns auch die Übelwollendsten nicht die Schuld dafür geben können. Baudolino, das ist der einzige Ausweg, es gibt keinen anderen, egal ob du bloß deine Haut retten oder ob du zum Priester Johannes gelangen willst, um in seiner Gegenwart Friedrichs höchsten Ruhm zu preisen.«
Der Poet hatte recht, auch wenn Baudolino seine kalte Logik verfluchte, und alle waren derselben Meinung. Sie kleideten den Kaiser an, trugen ihn in den kleinen Hof hinunter, setzten ihn auf sein Pferd, banden ihn gut fest und stärkten ihm den Rücken
-393-
auf ähnliche Weise, wie es der Poet einst bei den drei
Magierkönigen getan hatte, damit es so aussah, als säße er hochaufgerichtet im Sattel.
»Zum Fluß hinunter bringen ihn nur Baudolino und Abdul«, sagte der Poet, »denn eine größere Eskorte würde die
Aufmerksamkeit der Wachen erregen, die dann womöglich
meinen, sie müßten sich der Gruppe anschließen. Wir anderen bleiben hier oben zur Bewachung des Zimmers, damit
Ardzrouni oder andere nicht daran denken, es zu betreten, und räumen es auf. Oder besser noch, ich gehe runter auf die Mauern, um mit den Wachen zu schwatzen, so kann ich sie ablenken, während ihr die Burg verlaßt.«
Es schien, als ob der Poet als einziger noch imstande war, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Alle gehorchten.
Baudolino und Abdul ritten langsam aus dem Hof, Friedrichs Pferd zwischen sich führend. Sie folgten dem Seitenweg bis zum Hauptweg, ritten vorsichtig über die Stufen ins Tal hinunter und machten sich dann in raschem Trab auf den Weg zum Fluß.
Die Wachen grüßten den Kaiser von den Zinnen herab.
Der kurze Ritt schien eine Ewigkeit zu dauern, aber endlich erreichten sie das Ufer.
Sie verbargen sich hinter einer Baumgruppe. »Hier sieht uns keiner«, sagte Baudolino. »Die Strömung ist stark, der Körper wird schnell mitgerissen werden. Wir reiten ein Stück ins Wasser, um ihn zu retten, aber der Grund ist steinig, so daß wir ihn nicht erreichen können. Also folgen wir ihm am Ufer und rufen um Hilfe... Die Strömung treibt ihn zum Lager.«
Sie banden den Leichnam Friedrichs los und entkleideten ihn bis auf das wenige, was ein schwimmender Kaiser braucht, um seine Sittsamkeit zu wahren. Kaum hatten sie ihn in den Fluß gestoßen, riß ihn die Strömung mit sich. Sie ritten ins Wasser, strafften die Zügel so, daß es aussah, als ob die Pferde scheuten,
-394-
rissen sie herum, kehrten ans Ufer zurück und folgten dort im Galopp der armen, zwischen Strudeln und Steinen
umhergeworfenen Leiche, schreiend und gestikulierend, um denen im Lager zu bedeuten, sie sollten den Kaiser retten.
Einige im Lager bemerkten ihre Signale, begriffen aber nicht gleich, was da geschah. Der Körper Friedrichs trieb kreiselnd talwärts, verschwand unter Wasser und tauchte ein Stück weiter vorn wieder auf. Von weitem war nicht leicht zu erkennen, daß da ein Mensch am Ertrinken war. Endlich begriff es jemand, drei Reiter sprengten ins Wasser, doch als der Körper bei ihnen ankam, stieß er gegen die Hufe der erschrockenen Pferde und wurde vorbeigerissen. Weiter unten gingen Soldaten mit Piken ins Wasser, und denen gelang es schließlich, die Leiche zu angeln und ans Ufer zu ziehen.
Als Baudolino und Abdul eintrafen, schien Friedrich ganz entstellt und zerschlagen von den Stößen gegen die Steine, und niemand konnte mehr
Weitere Kostenlose Bücher