Baudolino
Friedrichs Mörder zu sein. Der Poet erwiderte, entweder gehe es so oder gar nicht, und er hatte verdammt recht.
Wir würden zu einem der größten Abenteuer aufbrechen, das je von guten Christen ins Auge gefaßt worden wäre, und jeder würde jedem mißtrauen.«
»Und seid ihr aufgebrochen?« fragte Niketas.
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»Nicht von einem Tag auf den anderen, das hätte wie eine Flucht ausgesehen. Der ganze Hof war ständig versammelt, um über den Fortgang der Expedition zu entscheiden. Das Heer war dabei sich aufzulösen, viele wollten auf dem Seeweg nach Hause, andere wollten sich nach Antiochia einschiffen, wieder andere nach Tripolis. Schließlich entschied sich der junge Friedrich, auf dem Landweg weiterzuziehen. Dann wurde
diskutiert, was mit Friedrichs Leichnam geschehen sollte, einige schlugen vor, sofort die Eingeweide zu entfernen, die am schnellsten verwesen, und ihn dann möglichst bald zu begraben, andere wollten warten bis zur Ankunft in Tarsos, der
Geburtsstadt des Apostels Paulus. Aber der Leichnam konnte auch ohne die Eingeweide nicht lange konserviert werden, früher oder später würde man gezwungen sein, ihn in einer Mischung aus Wasser und Wein so lange kochen zu lassen, bis sich alles Fleisch von den Knochen gelöst haben würde und an Ort und Stelle begraben werden könnte, um den Rest dann später in Jerusalem beizusetzen, sobald man es wieder erobert hatte. Aber ich wußte, daß man die Leiche vor dem Kochen würde zergliedern müssen, und an diesem Gemetzel wollte ich nicht teilnehmen.«
»Ich habe sagen hören, niemand wisse, was mit diesen
Gebeinen geschehen ist.«
»Das habe ich auch gehört, ach mein armer Vater! Kaum
waren sie in Palästina angelangt, ist dann auch der junge Friedrich gestorben, verzehrt von seinem Leid und von den Strapazen der Reise. Im übrigen sind auch Richard Löwenherz und Philipp August nie in Jerusalem angekommen. Es war
wirklich eine unglückselige Unternehmung, für alle Beteiligten.
Aber diese Dinge habe ich erst dieses Jahr erfahren, als ich nach Konstantinopel zurückgekommen bin. Damals in Kilikien war es mir gelungen, Friedrich von Schwaben zu überzeugen, daß wir, um das Gelübde seines Vaters zu erfüllen, nach Indien
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aufbrechen mußten. Er schien erleichtert über meinen
Vorschlag. Er wollte bloß wissen, wie viele Pferde und wieviel Proviant wir brauchten. Geh mit Gott, Baudolino, sagte er, ich glaube nicht, daß wir uns wiedersehen werden. Vielleicht dachte er, ich würde mich in fernen Ländern verlieren, dabei war er es, der sich verlieren sollte, der Unglückliche. Er war nicht schlecht, wenn auch zerfressen von Neid und Groll.«
Während also jeder jedem mißtraute, mußten unsere Freunde entscheiden, wer an der Reise teilnehmen sollte. Der Poet hatte zu bedenken gegeben, daß sie zwölf sein müßten. Denn wenn sie während der Reise zum Land des Priesters Johannes
respektvoll behandelt werden wollten, sei es ratsam, die Leute glauben zu lassen, sie seien die zwölf Magierkönige auf dem Rückweg aus Bethlehem. Da jedoch nicht gesichert sei, ob die Magier wirklich zwölf waren oder doch nur drei, dürfe keiner von ihnen jemals sagen, daß sie die Magier seien; im Gegenteil, wenn jemand sie fragte, müßten sie es verneinen, aber so, daß es klinge, als hätten sie ein großes Geheimnis zu wahren.
Gerade wenn und weil sie es gegenüber allen verneinten, würde es jeder glauben, der es glauben wollte. Der Glaube der anderen würde aus ihrer Zurückhaltung eine Bejahung machen.
Nun waren da Baudolino, der Poet, Boron, Kyot, Abdul,
Solomon und Boidi. Zosimos war unverzichtbar, da er fortfuhr zu schwören, er habe die Karte des Kosmas Indikopleustes im Kopf, auch wenn es allen nicht wenig gegen den Strich ging, daß dieser Widerling einen der Magier darstellen sollte, aber man durfte nicht zimperlich sein. Es fehlten also noch vier Personen. Baudolino traute inzwischen nur noch den
Alexandrinern, und so weihte er vier von ihnen in das Vorhaben ein: den Cuttica aus Quargnento, seinen Schwager Colandrino Guasco, den Porcello und den Aleramo Scaccabarozzi, genannt il Ciula, der trotz seines Spitznamens (›der Dödel‹) ein solider und zuverlässiger Mann war, der nicht viele Fragen stellte. Sie
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erklärten sich einverstanden, da auch ihnen inzwischen schien, daß es mit Jerusalem ohnehin nichts mehr werden würde. Der junge Friedrich gab ihnen zwölf Pferde und sieben Maultiere mit Verpflegung für eine Woche. Danach,
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