Baudolino
daher vom Bischof abhängig waren, aber dann sind sie eines schönen Tages auf den Berg der heiligen Genoveva gezogen, und dort suchen sie nun nach der Wahrheit und lehren, ohne dabei auf den Bischof oder den König zu hören.«
»Wenn ich ihr König wäre, würd' ich's sie schon lehren. Aber angenommen, es wäre so?«
»Es wäre so, wenn du ein Gesetz machtest, in dem du
anerkennst, daß die Magistres von Bologna wirklich unabhängig von jeder anderen Macht sind, sowohl von dir wie vom Papst wie von jedem anderen Souverän, allein dem Recht verpflichtet.
Sobald sie mit dieser Würde ausgestattet sind, die auf der Welt einzigartig ist, werden sie erklären, daß - gemäß der Vernunft, der Natur und der Tradition das einzige Recht nur das römische ist und der einzige, der es repräsentiert, der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches - und daß natürlich, wie es Herr Rainald so
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schön gesagt hat, quod principi placuit legs habet vigorem.«
»Und warum sollten sie das sagen?«
»Weil du ihnen dafür das Recht gibst, es sagen zu dürfen, und das ist nicht wenig. So bist du zufrieden, und sie sind zufrieden, und wie mein Vater Gagliaudo immer sagte, ihr beide sitzt in einer Tonne aus Eisen.«
»Sie werden nicht bereit sein, so etwas zu tun«, murmelte Rainald.
»O doch«, erwiderte Friedrich, »ich sage dir, sie werden bereit sein. Allerdings müssen sie zuerst diese Erklärung abgeben, und erst dann gebe ich ihnen die Unabhängigkeit, sonst würden alle denken, sie hätten es als Gegenleistung für eine Gabe von mir getan.«
»Also ich denke, wenn jemand sagen will, daß ihr euch
abgesprochen habt, dann wird er das trotzdem sagen«,
kommentierte Baudolino skeptisch. »Aber ich möchte den
sehen, der sich zu sagen getraut, daß die Doktoren in Bologna keinen Pfifferling wert seien, nachdem sogar der Kaiser hingegangen ist, um sie demütig nach ihrer Meinung zu fragen.
Von diesem Moment an ist ihr Wort das Evangelium.«
So verlief die Sache dann wirklich, noch im selben Jahr in Roncaglia, wo zum zweiten Mal ein großer Reichstag stattfand.
Für Baudolino war es zunächst ein großes Spektakel. Wie Rahewin ihm erklärte - damit er nicht dachte, es sei alles nur ein Zirkusspiel mit überall knatternden Fahnen, Wappen, bunten Zelten, Händlern und Gauklern -, hatte Friedrich auf dem linken Ufer des Po ein typisches römisches Lager errichten lassen, um daran zu erinnern, daß seine Würde aus Rom kam.
In der Mitte dieses Lagers stand das kaiserliche Zelt wie ein Tempel, und wie ein Kranz umgaben es die Zelte der
Lehnsherren, Vasallen und Valvassoren. Bei Friedrich befanden
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sich der Erzbischof von Köln, der Bischof von Bamberg, Daniel von Prag, Konrad von Augsburg und andere mehr. Am rechten Po-Ufer lagerten die Italiener, der Gesandte des Apostolischen Stuhls, der Patriarch von Aquileia, der Erzbischof von Mailand, die Bischöfe von Turin, Alba, Ivrea, Asti, Novara, Vercelli, Tortona, Pavia, Como, Lodi, Cremona, Piacenza, Reggio,
Modena, Bologna und Gott weiß wer noch.
Als Präses dieser majestätischen und wahrhaft universalen Versammlung eröffnete Friedrich die Debatte.
Um es kurz zu machen - sagte Baudolino, denn er wollte
Niketas nicht mit den Meisterwerken der kaiserlichen,
rechtswissenschaftlichen und kirchlichen Redekunst langweilen
-, vier Doktoren aus Bologna, die berühmtesten, Schüler des großen Irnerius, waren vom Kaiser gebeten worden, eine
unanfechtbare Lehrmeinung über seine Machtbefugnisse
abzugeben, und drei von ihnen, Bulgarus, Jacopus und Hugo von Porta Ravegnana, hatten sich so geäußert, wie Friedrich es wollte, nämlich das Recht des Kaisers aus dem römischen Recht abgeleitet. Anderer Ansicht war lediglich ein gewisser Martinus.
»Dem Friedrich dann wohl die Augen ausstechen ließ«,
kommentierte Niketas. »Aber nein, nicht doch!« erwiderte Baudolino. »Ihr Romäer stecht diesem und jenem die Augen aus und versteht nicht mehr, wo das Recht ist, weil ihr euren großen Justinian vergessen habt. Gleich darauf verkündete Friedrich die Constitutio Habita, womit er die Autonomie der Rechtsschule von Bologna anerkannte, und wenn die Rechtsschule autonom war, konnte Martinus sagen, was er wollte, und nicht einmal der Kaiser hätte ihm deswegen ein Haar krümmen können. Denn wenn er es getan hätte, wären die Doktoren ja nicht mehr autonom gewesen, und wenn sie nicht autonom wären, hätte ihr Urteil keinerlei Wert und Friedrich liefe Gefahr, als Usurpator
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