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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ich mich, denn ich wüßte kein höheres Glück, um das ich bete und das ich begehre, als die Liebe, die sie mir schenkt, und die flink sich einnistet in mein wehes Gemüt mit einem schmerzlichen Ton.
    Baudolino nahm sich vor, auch eines Tages Lieder für seine ferne Kaiserin zu schreiben, aber er wußte nicht recht, wie man das anstellte, da weder Otto noch Rahewin jemals zu ihm von Poesie gesprochen hatten, außer wenn sie ihn irgendeine sakrale Hymne erlernen ließen. Fürs erste nutzte er Abdul, um sich Zugang zur Bibliothek von Sankt Viktor zu verschaffen, wo er lange Vormittage verbrachte, indem er - statt den Magistern zu lauschen - mit halboffenem Mund phantastische Texte
    verschlang, nicht die Handbücher der Grammatik, sondern die Geschichten von Plinius, den Alexanderroman, die Geographie von Solinus, die Etymologien von Isidor und anderes mehr.
    Er las von fernen Ländern, in denen die Krokodile leben, große Wasserschlangen, die Tränen vergießen, nachdem sie Menschen gefressen haben, und die nur den Oberkiefer bewegen und keine Zunge haben; dazu die Hippopotamoi, die halb
    Mensch und halb Pferd sind, die Bestie Leukokroka, die den Leib eines Esels hat, das Hinterteil eines Hirsches, die Brust und die Schenkel eines Löwen, ein Horn mit zwei Spitzen, einen bis zu den Ohren reichenden Mund, aus dem eine beinahe
    menschliche Stimme ertönt, und anstelle der Zähne einen einzigen Knochen. Er las von Ländern, in denen Menschen ohne Kniegelenke leben, Menschen ohne Zunge, Menschen mit
    Riesenohren, in die sie ihren Leib hüllen können, um ihn vor Kälte zu schützen, und jene Skiapoden oder Schattenfüßler, die nur ein Bein haben, aber ungemein schnell damit rennen
    können.
    Da er Beatrix keine eigenen Lieder schicken konnte (und es, hätte er welche geschrieben, nicht gewagt hätte), beschloß er, wie man der Geliebten Blumen oder Juwelen schickt, ihr alle
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    Wunder zu schenken, die er in den Büchern entdeckte. So schrieb er ihr von Gegenden, wo die Bäume des Mehls und des Honigs wachsen, vom Berg Ararat, auf dessen Gipfel man an klaren Tagen die Reste der Arche Noah sieht, und die
    hinaufgestiegen sind, sagen, sie hätten den Finger in die Öffnung gelegt, durch welche der böse Geist entflohen sei, als Noah das Benedicite rezitierte. Er erzählte ihr von Albanien, einem riesigen Land, wo die Menschen weißer als anderswo sind und Haare dünn wie Katzenschnurrbärte haben; von einem Land, in dem einer, der sich nach Osten wendet, seinen Schatten nach rechts wirft; von einem anderen mit ungemein wilden Bewohnern, die bei der Geburt eines Kindes tiefe Trauer bekunden und große Feste feiern, wenn eines stirbt; von Regionen, wo sich Gebirge aus Gold erheben, bewacht von Ameisen, groß wie Hunde, und wo die Amazonen leben,
    Kriegerinnen, die ihre Männer im Nachbarland halten, ihre neugeborenen Söhne töten oder zum Vater schicken und ihren Töchtern mit glühenden Eisen eine Brust amputieren, den hochrangigen die linke, so daß sie den Schild besser tragen können, den niederen die rechte, so daß sie besser mit dem Bogen schießen können. Und schließlich erzählte er ihr vom Nil, einem der vier Flüsse, die aus dem Berg des Irdischen
    Paradieses entspringen: Er fließt durch die Wüsten Indiens, versinkt in den Untergrund, kommt beim Berg Adas wieder hervor und sucht sich dann durch Ägypten den Weg zum Meer.
    Doch als er bei seiner Lektüre zu Indien gelangte, vergaß er fast seine Beatrix und verlor sich in anderen Phantasien, denn er hatte sich in den Kopf gesetzt, daß in jenem Teil der Welt, wenn überhaupt irgendwo, das Reich jenes Presbyters Johannes sein müsse, von dem Bischof Otto gesprochen hatte.
    Baudolino hatte nie aufgehört, an diesen Priesterkönig zu denken, er dachte an ihn jedesmal, wenn er von einem
    unbekannten Land las, besonders wenn das Pergament farbige
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    Miniaturen von seltsamen Wesen enthielt, von Menschen mit Hörnern auf dem Kopf oder von jenen Pygmäen, die ständig mit Kranichen kämpfen. Er dachte so oft an ihn, daß er den Priester Johannes in seinen Gedanken schon wie einen Freund der
    Familie behandelte. Daher war es für ihn von großer Bedeutung zu wissen, wo dieser Johannes sich befinden mochte, und wenn es ihn nirgendwo gab, mußte er wenigstens irgendein Indien finden, in das er ihn versetzen konnte, denn er fühlte sich gebunden durch einen Eid, den er dem lieben Bischof Otto am Sterbebett (wenn auch nicht wirklich) geschworen hatte.
    Er erzählte

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