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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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seinen
    Wutausbruch und sagte, daß er den hundert Speichelleckern, die er um sich habe, einen Sohn wie ihn vorziehe, der sich traue, es ihm zu sagen, wenn er sich irre.
    »Nicht einmal mein Beichtvater hat den Mut dazu«, gestand er
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    ihm lächelnd. »Du bist der einzige Mensch, zu dem ich
    Vertrauen habe.«
    Baudolino begann seine Schuld dadurch abzuzahlen, daß er vor Scham verging.
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    10. KAPITEL

    BAUDOLINO FINDET DIE
    KÖNIGE AUS DEM
    MORGENLAND UND LÄßT KARL
    DEN GROßEN HEILIG
    SPRECHEN
    Baudolino war vor den Mauern Mailands eingetroffen, als die Mailänder der Belagerung nicht mehr standhalten konnten, auch ihrer inneren Zwietracht wegen. Am Ende hatten sie
    Parlamentäre geschickt, um die Kapitulation auszuhandeln, und die Bedingungen waren dieselben wie jene die auf dem
    Reichstag in Roncaglia festgelegt worden waren; mit anderen Worten, vier Jahre später, trotz aller Toter und Verwüstungen, war es noch genauso wie vorher. Oder besser gesagt, es war eine noch schmählichere Kapitulation als die vorangegangene.
    Friedrich hätte den Besiegten auch diesmal gerne großmütig verziehen, aber Rainald blies gnadenlos ins Feuer. Man müsse den Mailändern eine Lektion erteilen, die allen in Erinnerung bleiben würde, und man müsse diejenigen Städte
    zufriedenstellen, die sich auf die Seite des Kaisers gestellt hatten, nicht aus Liebe zu ihm sondern aus Haß auf Mailand.
    »Baudolino«, sagte der Kaiser zu seinem Adoptivsohn »bitte schilt mich diesmal nicht. Manchmal muß auch ein Kaiser tun, was seine Berater wollen.« Und leise fügte er hinzu: »Dieser Rainald macht mir mehr Angst als die Mailänder.«
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    So hatte er angeordnet, daß alle Bewohner die Stadt verlassen mußten, Männer, Frauen und Kinder, und daß Mailand dem
    Erdboden gleichgemacht werde.
    Die Lager rings um die Stadt wimmelten nun von Mailändern, die ziellos umherliefen, einige hatten sich in die Nachbarstädte geflüchtet, andere blieben draußen vor den Mauern in der Hoffnung, daß der Kaiser ihnen vergebe und sie wieder
    hineinlassen werde. Es regnete, die Flüchtlinge zitterten nachts vor Kälte, die Kinder wurden krank, die Frauen weinten, die Männer hockten, nun entwaffnet, niedergeschlagen an den Straßenrändern und reckten die Fäuste zum Himmel, denn es war jetzt empfehlenswerter, den Allmächtigen zu verfluchen, als den Kaiser, dessen Männer umhergingen und sich nach dem Grund der allzu lauten Klagen erkundigten.
    Zuerst hatte Friedrich versucht, die rebellische Stadt durch Anzünden zu vernichten, dann hielt er es für besser, die Sache den Italienern zu überlassen, die Mailand heftiger haßten als er.
    Den Lodianern übertrug er die Zerstörung der Porta Orientale, die damals Porta Renza genannt wurde, den Cremonesern die Schleifung der Porta Romana, den Pavesanern die Stein-fürStein-Abtragung der Porta Ticinese, den Novaresern die
    Einebnung der Porta Vercellina, denen aus Como die restlose Beseitigung der Porta Comacina und denen aus dem Seprio und der Martesana die Verwandlung der Porta Nuova in eine Ruine.
    Lauter Aufgaben, die von den Bürgern jener Städte mit
    Vergnügen erfüllt wurden, hatten sie doch dem Kaiser sogar viel Geld für das Privileg bezahlt, ihre Abrechnung mit dem
    besiegten Mailand eigenhändig vornehmen zu dürfen.
    Am Tag nach Beginn der Demolierungsarbeiten machte
    Baudolino einen Erkundungsgang durch die Stadt. An manchen Stellen sah man nichts als eine große Staubwolke. Drang man in diese Staubwolke ein, entdeckte man da und dort Grüppchen von Leuten, die emsig bei der Arbeit waren - hier einige, die
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    eine Fassade mit dicken Seilen umwanden und gemeinsam
    daran zogen, bis sie zusammenbrach, dort andere
    Abbruchexperten, die das Dach einer Kirche mit Spitzhacken bearbeiteten, bis es abgedeckt war, und die dann mit
    Rammböcken auf die Mauern losgingen oder Säulen zu Fall brachten, indem sie Keile unter die Sockel trieben. Baudolino verbrachte ein paar Tage damit, durch die verwüsteten Straßen zu laufen. Er sah den Campanile der größten Kirche einstürzen, einen schöneren und mächtigeren gab es in ganz Italien nicht.
    Am eifrigsten waren die Lodianer, die nichts anderes ersehnten, als endlich Rache zu nehmen: Sie hatten als erste ihre
    Zerstörungsaufgabe erledigt und eilten dann zu den
    Cremonesern, um ihnen beim Niederreißen der Porta Romana zu helfen. Die Pavesaner schienen jedoch die besten Experten zu sein, sie schlugen nicht einfach wahllos zu,

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