Baudolino
General Kaiser Justinians. Was ist das Bestreben eines Belagerers? Tunnel zu graben, die ihn
unterirdisch ins Herz der Stadt bringen. Und was ist sein Traum?
Einen Tunnel schon fertig vorzufinden, den die Belagerten nicht kennen. Also präparieren wir ihm einen Tunnel, der von außen in die Stadt führt, und verstecken den Eingang unter großen Steinen und Ästen, aber nicht so gut, daß der Feind ihn nicht eines Tages entdeckt. Das andere Ende des Tunnels, innerhalb der Mauern, muß ein enger Schlauch sein, durch den nur ein oder höchstens zwei Männer gleichzeitig gehen können, und er muß mit einem Eisengitter verschlossen sein, damit der erste Kundschafter sagen kann, daß man durch das Gitter auf einen Platz sieht und, was weiß ich, auf die Ecke einer Kapelle, zum Zeichen, daß der Gang direkt in die Stadt führt. Bei dem Gitter
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steht jedoch eine Wache, und wenn der Feind eintrifft, ist er gezwungen, Mann für Mann einzeln herauszukommen, so daß man ihn Mann für Mann einzeln erledigen kann...«
»Und der Feind ist so blöd, immer weiter Mann für Mann
rauszugehen, ohne zu merken, daß die vordersten wie reife Pflaumen fallen«, gackerte der Boidi.
»Und wer sagt dir, daß der Feind nicht blöd ist? Wart's nur ab.
Die Sache muß vielleicht noch besser ausgefeilt werden, aber die Idee ist nicht schlecht.«
Baudolino nahm den Ghini beiseite, der ja als Kaufmann ein vernünftiger Mensch sein und mit beiden Beinen auf dem Boden stehen mußte, nicht wie jene Ritter, Lehnsmänner von
Lehnsmännern, die sich, bloß um militärischen Ruhm zu
erwerben, auch auf von vornherein schon verlorene Sachen einließen. »Hör mal, Ghini, reich nochmal diesen Krug rüber und dann sag mir, was du davon hältst. Mir leuchtet ja ein, daß, wenn man hier eine Stadt erbaut, der Barbarossa gezwungen ist, sie zu belagern, um nicht sein Gesicht zu verlieren, womit er denen von der Liga Zeit gibt, ihn von hinten anzugreifen, wenn er vom Belagern erschöpft ist. Aber die uns in dieses
Unternehmen reinziehen sind die Städter. Und du willst, daß ich glaube, unsere Leute verließen die Orte, an denen sie gut oder schlecht gelebt haben, und kämen her, um sich hier umbringen zu lassen, bloß um denen in Pavia einen Gefallen zu tun? Du willst, daß ich glaube, die Genueser, die keinen Heller rausrücken würden, um ihre eigene Mutter von den Sarazenen-Piraten loszukaufen, hätten hier Geld und Arbeit reingesteckt, um eine Stadt zu bauen, die höchstens den Mailändern Vorteile bringt?«
»Baudolino«, sagte der Ghini, »die Geschichte ist noch viel komplizierter, als du meinst. Sieh dir mal genau an, wo wir hier sind.« Er tunkte einen Finger in den Wein und begann Zeichen auf den Tisch zu malen. »Hier ist Genua, klar? Und hier sind
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Tortona und Pavia und Mailand. Das sind drei reiche Städte, und Genua ist eine Hafenstadt. Also muß Genua freie Bahn für seinen Handel mit den lombardischen Städten haben, klar? Und die Paßstraßen führen durchs Tal der Lemme, durchs Tal der Orba, durchs Tal der Bormida und durchs Tal der Scrivia. Das sind vier Flüsse habe ich recht? -, und alle vier treffen sich mehr oder weniger hier mit dem Tanaro. Wenn du jetzt hier eine Brücke über den Tanaro hast, dann hast du von hier aus freie Bahn für den Handel mit dem Markgrafen von Montferrat und wer weiß wem noch dahinter. Klar? Nun, solange Genua und Pavia die Sache untereinander ausmachten, war's ihnen ganz recht, daß diese Täler herrenlos blieben, oder sie schlossen von Fall zu Fall Bündnisse, zum Beispiel mit Gavi oder mit
Marengo, und die Dinge liefen glatt... Aber dann ist dieser Kaiser hier aufgekreuzt, Pavia einerseits und der Montferrat andererseits haben sich mit ihm verbündet, Genua sieht sich von rechts und von links blockiert, und wenn es sich auf Friedrichs Seite stellt, kann es seine Geschäfte mit Mailand vergessen.
Also müßte es sich mit Tortona und Novi gutstellen, die ihm erlauben, die Täler der Scrivia und der Bormida zu
kontrollieren. Aber du weißt, was passiert ist, der Kaiser hat Tortona dem Erdboden gleichgemacht, Pavia hat die Kontrolle des Landes bis zu den Bergen des Apennin übernommen, unsere Dörfer haben sich auf die Seite des Kaisers geschlagen, und bitte, was blieb uns denn anderes übrig? Sollten wir, klein wie wir waren, die großen Helden spielen? Was mußten uns nun die Genueser dafür bieten, daß wir die Seite wechselten? Etwas, das zu besitzen wir uns nie hatten träumen
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