Baudolino
lassen, nämlich: eine richtige Stadt mit Mauern ringsum, mit Konsuln, Soldaten und einem Bischof, eine Stadt, die Wegzölle für Menschen und Waren einnimmt. Du mußt dir klarmachen, Baudolino, allein die Kontrolle einer Brücke über den Tanaro bringt einen Haufen Geld ein, du sitzt da und verlangst mal eine Münze, mal zwei Hähnchen, mal einen ganzen Ochsen, und die Betreffenden
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zahlen, ohne zu feilschen! Eine Stadt ist ein Goldesel, denk nur mal, wie reich die Leute in Tortona waren, verglichen mit uns in der Palea. Und diese Stadt, die uns so gelegen kam, war auch gut für die Liga und gut für Genua, wie ich schon sagte, denn so schwach sie auch sein mag, durch die bloße Tatsache, daß sie da ist, stört sie die Pläne aller anderen und garantiert, daß in dieser Gegend weder Pavia noch der Kaiser, noch der Markgraf von Montferrat sich als Herren aufspielen können.«
»Ja, aber dann kommt der Barbarossa und zertritt euch wie eine Kröte.«
»Wart's ab. Wer sagt das? Hauptsache ist, daß die Stadt dasteht, wenn er kommt. Danach - na, du weißt doch selber, wie's geht: Eine Belagerung kostet Zeit und Geld, also machen wir ihm eine schöne Unterwerfungsgeste, er ist zufrieden, denn für diese Herren ist doch die Ehre das Höchste, und er zieht weiter anderswohin.«
»Aber die Liga und die Genueser haben ihr Geld doch
lockergemacht, um hier eine Stadt als Bollwerk zu haben, und nun wollt ihr sie einfach so versetzen?«
»Das hängt ganz davon ab, wann der Barbarossa kommt. Du siehst doch selber, binnen drei Monaten wechseln diese Städte hier ihre Bündnisse, wie's ihnen gerade paßt. Warten wir's ab.
Vielleicht ist bis dahin die Liga mit dem Kaiser verbündet.«
(Und ob du's glaubst oder nicht, Kyrios Niketas, fügte
Baudolino hinzu, sechs Jahre später, als die Stadt belagert wurde, waren auf Friedrichs Seite die Genuesischen
Steinschleuderer, verstehst du, die Genueser, die so tatkräftig mitgeholfen hatten, sie zu erbauen!) »Und wenn nicht«, fuhr der Ghini fort, »dann werden wir die Belagerung eben durchstehen, verdammt und zugenäht, auf dieser Welt gibt's nix umsonst.
Aber ehe wir weiterreden, komm dir das erstmal ansehen...«
Er nahm Baudolino bei der Hand und zog ihn aus der Taverne
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hinaus. Es war inzwischen Abend geworden, und die Luft war kälter als vorher. Sie traten auf einen kleinen Platz, von dem später, wie man erriet, mindestens drei Straßen abgehen sollten, aber fertig waren erst zwei Ecken mit niedrigen, einstöckigen und strohgedeckten Häusern. Erhellt wurde er von Lichtern aus den Fenstern ringsum und einigen Kohlebecken, die von den letzten Verkäufern geschürt wurden, welche lauthals riefen:
»Frauen, Frauen, die heilige Nacht bricht an, und ihr wollt doch sicher, daß eure Männer nur Gutes auf dem Tisch vorfinden!«
An dem, was die dritte Ecke werden sollte, stand ein
Scherenschleifer, der seine Klingen kreischen ließ, während er mit der freien Hand den Schleifstein begoß. Weiter hinten an einem Tisch verkaufte eine Frau gebratene Kichererbsenfladen, trockene Feigen und Johannisbrot, und ein in Fell gekleideter Hirte schwenkte ein Körbchen und rief »He, Frauen, der gute Mascarpone!« Auf einem freien Platz zwischen zwei Häusern verhandelten zwei Männer über ein Schwein. Dahinter lehnten zwei Mädchen lasziv an einer Tür, klapperten mit den Zähnen unter Schals, die tiefe Ausschnitte durchblicken ließen, und eine von ihnen sagte zu Baudolino: »He, was für ein hübscher Junge du bist, willst du nicht die Weihnacht mit mir verbringen, daß ich dich lehre, das Tier mit acht Beinen zu machen?«
Sie bogen um eine Ecke, und da stand ein Wollkummer, der laut rief, es sei der letzte Moment für Woll- und Strohsäcke, um im Warmen zu schlafen und nicht zu frieren wie das Jesuskind; daneben pries ein Wasserträger seine Ware an. Beim
Weitergehen durch die noch unfertigen Straßen sahen sie schon Hauseingänge, in denen hier noch ein Zimmermann hobelte, da ein Schmied auf seinen Amboß drosch, daß die Funken stoben, und dort jemand Brote aus einem Backofen zog, der rot
schimmerte wie das Tor zur Hölle. Es gab auch Händler, die von weither kamen, um an dieser neuen Grenze Geschäfte zu
machen, oder Leute, die gewöhnlich im Walde lebten, Köhler, Honigsammler, Aschenbrenner mit der Asche zum
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Seifemachen, Rindensammler mit der Rinde für Seile oder zum Ledergerben, Verkäufer von Kaninchenfellen, auch allerlei Galgengesichter, denen die
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