Bauernopfer
Sturheit, seine Menschenverachtung, seine Ignoranz das Ganze so weit getrieben hat. Aber die Zweifel bleiben. Und du machst dir Vorwürfe. Und irgendwann schwörst du dir: nie wieder! Nie wieder schau ich nur zu, ohne wenigstens zu versuchen, das Ganze zu ändern.« Ihre Finger hatten sich voneinander gelöst und sich zu Fäusten geballt, die sie jetzt auf den Tisch schlug, dass die Anhänger ihres Armreifs klimperten. »Ja, ich war bei diesem Menschen auf dem Hof. Ich wollt mit ihm reden, ihn zur Vernunft bringen.«
»Dann waren S’ also nicht wegen der Rosa bei ihm, sondern wegen der Sache mit dem Gessler?«, fragte Sandra, die inzwischen für alle Kaffee geholt hatte.
»Das ist doch das Gleiche«, antwortete Frau Berthold und strich sich wieder die Strähne hinters Ohr. »Die Rosa und ich, wir waren junge Frauen. Wir hatten unsere Träume und unsere Pläne, unsere Vorstellungen von der Zukunft. Die Rosa wollt in ihrem Leben nichts anderes, als was alle jungen Frauen wollen – wenigstens zur damaligen Zeit: heiraten, eine Familie gründen, ihr Auskommen haben. Einfach ein bisserl glücklich sein, ganz bescheiden, ganz im Kleinen. Aber dieser Sadist, dieses Schwein hat ihr das nicht vergönnt. Systematisch hat er alles getan, damit sie unglücklich wurde. Bis sie keine Zukunft mehr gesehen hat und ins Wasser gegangen ist.«
»Offiziell war’s ein Badeunfall«, warf Charly ein.
Frau Berthold antwortete gar nicht darauf, sie winkte nur ab. »Und genauso ist es beim Ignaz, also beim Herrn Gessler. Die Firma ist sein Leben, da hängt sein Herzblut drin.«
Charly verkniff sich eine Bemerkung über den Zusammenhang von Blut, Gessler und der Firmenübernahme.
»Und er hat’s dem Bichler erklärt«, fuhr Frau Berthold fort. »Der hat genau g’wusst, um was es für den Ignaz geht. Nur darum wollt er ihm das Feld nicht verkaufen. Aus reiner Bosheit, nur damit der andere nicht zufrieden und glücklich werden kann.«
»Aber der Gessler sagt, die Firma sei ihm gar nicht so wichtig. Er könnt damit auch aufhören, hat genug Geld für den Lebensabend. Und ehrlich gesagt, er hat ja auch ein Alter, wo man schon mal an den Ruhestand denken darf«, warf Charly ein.
»Natürlich sagt er das. Er würde nie zugeben, dass ihm irgendwas nahe geht. Erst recht nicht gegenüber Fremden und schon gleich gar nicht bei der Polizei, ist doch klar. Aber glauben Sie mir, die Firma ist sein Ein und Alles. Die betreibt er, bis sie ihn mit den Füßen voraus raustragen. Wenn der Betrieb vorher Pleite macht, dann bricht für ihn seine Welt zusammen.«
»Was war dann an dem Samstag?« Charly kam wieder zum Grund der Vernehmung zurück.
»Ja, ich war dort, bin hingefahren und wollt mit ihm reden. Hab mir alles so schön ausgedacht g’habt, aber ich hätt’s besser wissen müssen. Mit dem hast nicht reden können. Der hat mich nur ausg’lacht.«
»Und da haben Sie ihn erschossen!«
»Ich hab ihn nicht erschossen. Ich bin wieder gefahren. Enttäuscht und verzweifelt, aber ich bin wieder gefahren.«
»Wenn nichts passiert ist, warum haben Sie uns dann nicht gesagt, dass Sie beim Bichler waren, als wir in der Firma aufgetaucht sind?«, hakte Charly nach.
Frau Berthold zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, so halt.«
»Und der Schal?«
»Ach, irgendwas hab ich abgewischt, wie ich mich in der schmuddligen Küche von dem Unmenschen hingesetzt hab.«
»In der Küche? Wo waren S’ denn noch überall während des Gesprächs?«
»Nur in der Küche.«
»Wie lange hat das Gespräch gedauert?«
»Nicht länger als eine Viertelstunde, dann hab ich’s aufgegeben und bin wieder gefahren.«
»Zeugen dafür gibt’s nicht zufällig?«
»Keine Ahnung, ob mich wer geseh’n hat. Daneben auf dem Pferdehof war jede Menge Betrieb. Autos auf dem Weg und Pferde sind hin und her geführt worden. Ich wär’ mit meinem Radl fast nicht durchgekommen.«
Charly und Sandra sahen sich überrascht an. »Mit Ihrem Radl? Sie waren mit dem Rad da? Wann war denn dieses Gespräch, um welche Uhrzeit?«
»Weiß ich nicht, vormittags halt.«
Charly atmete tief durch. »Frau Berthold, Ihr Auto wurde gesehen, als es gegen 17.00 Uhr, also ungefähr zu der Zeit, als Bichler erschossen wurde, mit hoher Geschwindigkeit vom Tatort wegfuhr.«
Das war hoch gepokert. Die Staatsanwältin räusperte sich und warf Charly einen fragenden Blick zu. Vor Gericht hätte dieser Vorwurf sofort den Einspruch eines Verteidigers provoziert. Denn es stand keinesfalls fest, dass es
Weitere Kostenlose Bücher