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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serge Embacher
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Privatisierungstendenzen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Profitorientiertes Denken muss aus allen Bereichen ferngehalten werden, in denen es nichts zu suchen hat: aus Bildung und Erziehung, Altenpflege, Kulturförderung oder dem öffentlichen Personenverkehr. Doch erschöpft sich die Rolle der Wirtschaft natürlich nicht in der notwendigen Zumutung von Stoppregeln und Begrenzungen. Wirtschaftsunternehmen sind aufgerufen, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung künftig viel stärker gerecht zu werden. Dazu gehört die Überprüfung des Geschäftsmodells nach ethischen Kriterien genauso wie »Corporate Citizenship«. Und auch hier kann man nicht erwarten, dass die Dinge sich einfach von allein zum Besseren wenden. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft wären eine gute Sache, lehrte uns nicht die Erfahrung, dass Verantwortung von einer vitalen Bürgergesellschaft eingefordert werden muss. Ohne die »Watchdogs« der Bürgergesellschaft werden vor allem die global agierenden Großkonzerne immer wieder »vergessen«, was sie in Hochglanzbroschüren und CSR-Berichten formuliert haben. Verantwortungsvolles Wirtschaften wird es dauerhaft nur in Auseinandersetzung und Kooperation mit einer aktiven Bürgergesellschaft geben. Überall dort, wo wirtschaftliches Handeln dem Gemeinwohl mehr schadet als nutzt, sei es durch die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, durch die Etablierung oder Fortführung von Ausbeutung und prekärer Beschäftigung oder durch menschenfeindliche Produktions- und Lieferketten, müssen auch wirtschaftliche Prozesse einer demokratischen Kontrolle unterworfen werden. Der unentgeltliche und freiwillige Einsatz für das demokratische Gemeinwesen verdient nicht nur Respekt und Anerkennung, er berechtigt auch zur Mitsprache in öffentlichen Debatten. Die Meinungsbildung auf dem Weg zu demokratischen Entscheidungen darf nicht PR-Beratern, einflussreichen Privatinteressen und der Logik der Ministerialbürokratie überlassen werden. Da bedarf es der oft unbequemen und »nervigen« Interventionen bürgerschaftlich engagierter Experten.
    Die republikanische Verfassung des Gemeinwesens, die der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert erstmals gegen das »monarchische Princip« von Privileg und Vorrechten formulierte (Rousseau 1762), ist bis heute ein faszinierendes (und unvollendetes) Projekt geblieben. An ihr orientieren sich zu Recht alle freiheitlichen Gesellschaften. Die Republik bietet die Chance, öffentliche und private Freiheit miteinander zu versöhnen. In ihr können mit demokratischen Mitteln die Bedingungen hergestellt werden, unter denen Freiheit und Gerechtigkeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gelangen. Insofern muss heute, was die politische Verfasstheit des Gemeinwesens angeht, nicht mehr über »Systemalternativen« nachgedacht werden. Da sind gerade wir Deutsche hinreichend geläutert. Was aber heute neu zur Debatte steht, ist die Frage, wie die republikanische Verfassung des Gemeinwesens künftig ausgestaltet werden soll. Eine neue Governance-Perspektive, wie sie im vorigen Kapitel skizziert wurde, ist die Grundlage für einen »Neuen Gesellschaftsvertrag«. Der Begriff zeigt an, dass das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft neu gedacht werden muss und dass die Bürgergesellschaft dabei eine zentrale Rolle spielt. Sie ist es, die die Standards für Gerechtigkeit und Lebensqualität definiert. In welcher Gesellschaft wir leben wollen, kann weder staatlich verordnet noch darf es uns durch ökonomische Zwänge diktiert werden. Darüber muss in der aktiven Bürgergesellschaft debattiert werden. Das Wesen des »Neuen Gesellschaftsvertrags« besteht somit in einer neuen oder neu zu entwickelnden Kultur der öffentlichen Auseinandersetzung über die Einrichtung des demokratischen Gemeinwesens. Hier sind wir alle Lernende, und Vorbilder gibt es nicht.
    Bei der konkreten Ausgestaltung des Neuen Gesellschaftsvertrags empfiehlt es sich jedoch, vom Singular in den Plural zu wechseln. Denn statt einer einmaligen und fiktiven Zustimmung benötigt der Gesellschaftsvertrag die Einrichtung demokratischer Verfahren und Verfassungsnormen, die die neuen Balancen von Rechten und Pflichten sowie von Freiheitsspielräumen und Selbstbegrenzungen zum Gegenstand öffentlicher Verhandlungen machen. Die Gegenstände und Kontexte der jeweiligen Aushandlungssituationen sind so verschieden wie die unterschiedlichen Zusammenhänge vor Ort

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