Baustelle Demokratie
»Ich habe verstanden«-Lächeln. Er geht zu ihr hin und hebt sie hoch, hebt sie gewissermaßen aus den Schuhen, um sie schließlich zu küssen. Beide lachen. – Schlussbild, immer noch in der Küche: Die Kamera fokussiert das junge Paar, er schaut frontal hinein und spricht den alles entscheidenden Satz: »Unterm Strich zähl ich!« Plötzlich und ohne Vorwarnung wird man Zeuge dieser unnachahmlichen PR-Lyrik, während unten im Bild das Postbank-Logo eingeblendet wird.
Doch was macht sie? Sie lächelt wie er und ist ohne Probleme damit einverstanden, dass er nicht gesagt hat: »Unterm Strich zählen wir !« Wie sollte sie auch nicht damit einverstanden sein – heute, im postsolidarischen Zeitalter? Schon lange geht es nicht mehr um das, was uns zusammenhält und die solidarischen Potenziale in uns, auch wenn darüber ständig und vielstimmig geredet wird. Was zählt, ist das Ich – ein hypostasiertes und aufgeblasenes Ich, das sich mit einer atemberaubenden Selbstverständlichkeit im Zentrum der Welt verortet. Die seit 25 Jahren immer wieder vorgetragene Parole »Wenn der Einzelne im Mittelpunkt steht und alle Freiheiten bekommt, dann ist das für alle das Beste« steht hier gar nicht mehr zur Debatte. Was in den 1980er-Jahren noch für erregte Diskussionen und verbale Gefechte sorgte, ist heute schlicht selbstverständlich. Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher hatte schon früh die passenden Worte zur Ideologie des entgrenzten Individualismus gefunden: »There is no such thing as society« (So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht). Der Schlag saß – auch im Nacken einer kraftlosen Linken, die an den Traum von einer sozial gerechten und solidarischen Gesellschaft spätestens seit dieser Zeit der starken marktradikalen Parolen (und noch vor dem Fall der Berliner Mauer!) selber nicht mehr glaubte.
Um das eroberte antisolidarische Terrain zu sichern, legte die als »Eiserne Lady« in den Geschichtsbüchern verewigte Mrs. Thatcher noch nach: »There is no alternative« ist ein weiterer Spruch aus dem Gruselkabinett der markigen neoliberalen Sprüche, die bei aller intellektuellen Schlichtheit viele Jahre lang einen durchschlagenden Erfolg hatten und weltweit marktfreundlichen und gesellschaftliche Solidarität zerstörenden politischen Strategien zum Durchbruch verhalfen.
Noch einmal zurück zur Postbank: Fast nahtlos geht der Werbespot in die Tagesschau über – zu diesem Kontinuum aus Werbung und Information hat schon Hans-Magnus Enzensberger in seiner Kritik des »Nullmediums« Fernsehen alles gesagt (Enzensberger 1988). Seine Botschaft ist ganz einfach: Vertraue deine Geldgeschäfte der Postbank an, und du kannst dir das Leben leisten, das heute von dir verlangt wird, mit Eigenheim, gesicherter Altersversorgung, Auto und Einbauküche. Sei ganz du selbst, sichere dir deinen Vorteil, und wir helfen dir dabei. Es ist die radikalstmögliche Wahrheit in einer Welt wie der unseren: »Unterm Strich zähl ich, und nur ich!« Alles Riskante, Experimentelle, Aufregende und auch alles Empathische und Solidarische ist diesem Lebensmodell gründlich ausgetrieben worden. Die jungen Leute, die man in diesem und den anderen Werbefilmen aus derselben Serie der Postbank sehen kann, sind bis zur Schmerzhaftigkeit korrekt und optimistisch und zugleich gnadenlos ichbezogen – ausgeglichene Typen, die alle Chancen »gecheckt« haben und kühl ihren Vorteil suchen. »Ich will Top-Konditionen!«, sagt ein anderer junger Mann in einem anderen Spot, der dem beschriebenen gespenstisch ähnelt, und bringt damit perfekt die Logik eines Systems zum Sprechen, das allen immer das Beste verspricht und dieses Versprechen doch täglich bricht, indem es Ungleichheit und Ungerechtigkeit produziert. Doch das interessiert unsere Werbehelden natürlich nicht. Sie haben sich bestens arrangiert. Sie sind tadellose Personen mit einer tadellosen Geldbilanz. Der Homo oeconomicus , von einer kritischen Wissenschaft hinreichend als Fiktion und Illusion entlarvt, feiert hier ungebrochen fröhliche Urständ, er lebt vitaler und beängstigender als je zuvor.
Der Mann aus dem Werbespot und seine Freundin zeigen uns das legitime Bedürfnis einer sinnvergessenen Gegenwart. Dieses Bedürfnis besteht darin, für sich selbst immer das Beste herauszuholen. Das moralisch befreite Ich zu Beginn des 21. Jahrhunderts will immer das größte Stück vom Kuchen. Es will günstige Angebote, billige Reisen, viel verdienen und wenig
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