Beautiful Americans - 03 - Leben á la carte
also gar nicht zur Polizei gegangen?«, flüstere ich.
»Du denkst, deine Schwester würde auf ein Polizeirevier gehen?«
»Seid ihr... dann noch Schwierigkeiten?«, frage ich. Der ranzige Geruch in der Telefonzelle steigt mir langsam zu Kopf. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll und was nicht. Halb hoffe ich, dass er mir sagt, ich würde nach wie vor nicht die ganze Wahrheit kennen.
»Ja, es gibt ein paar Klagen wegen unerlaubten Handels, gegen die wir gerade ankämpfen. Wir wollen beweisen, dass es hier um Menschenrechte geht. In Washington sitzen ein paar Lobbyisten, die uns eine tolle Öffentlichkeit organisieren. Und um sicherzugehen, steht auch die liberale Presse hinter uns ...«
Mein Dad klingt jetzt so aufgeregt, dass mich schlagartig alle Kräfte verlassen. Ich komme mir vor, als wäre ich in irgendeinem Kampf unterlegen, und plötzlich scheinen meine Wut, die Hoffnung, die Sorgen aus meinem Körper zu weichen. Mein Dad versteht nicht, wie das irgendjemandem schaden konnte - dass seine politische Haltung ihn sein Haus gekostet hat, seine Freiheit. Dass er darüber mich verloren hat. Er sieht sich selbst als Kreuzritter, der die Welt rettet. Und überlässt es mir, mich selbst zu retten.
»Aber wir werden wohl trotzdem noch etwas Zeit im Knast absitzen müssen. Das war auch nicht anders zu erwarten, wenn man diese Art Schwarzmarkt-Medikamente über die Grenze bringt. Der Bank gehört jetzt zwar unser Haus, aber ansonsten sind wir noch immer in ...«
»Dad, ich muss Schluss machen«, sage ich, noch bevor er ganz ausgeredet hat.
»Okay, Süße. Es war toll, deine Stimme zu hören. Ich bin so froh und erleichtert, dass du gesund und wohlbehalten bist, Baby. Aber sei vorsichtig da draußen. Bitte. Es wäre unerträglich, wenn ... Egal. Dir geht es gut, und das ist die Hauptsache.« Ich höre ihn schniefen. »Du kannst uns jederzeit anrufen, ja?«
»Okay.«
»Ich liebe dich, Penny Jane.«
»Ich dich auch, Daddy.«
Leise lege ich den Hörer auf die Gabel zurück und gehe hinaus. Ich muss mich beeilen, um rechtzeitig wieder im Klub zu sein, ehe Griselda die Tür abschließt. Ich kann tagsüber sonst nirgendwo anders schlafen.
Später sitze ich mit Jay in einem abgedunkelten Kinosaal, und mir kommen immer und immer wieder dieselben Bilder hoch, fast wie bei einem Karussell. Oder wie meine Mom sagen würde: wie bei einem sich unermüdlich drehenden Derwisch. Da sind Annabel und ich, wir rennen durch den Bahnhof in Rouen. Dann ist da Dave, er steht in der Lobby unseres Hostels in Cherbourg, und Annabel läuft auf ihn zu. Ihr ist das Geld ausgegangen, und sie hofft nun, dass er vielleicht welches hat - dass sie wieder ins Geschäft kommen. Von unseren Plänen hat sie die Nase voll. Sie weiß nicht, dass Dave sich gegen sie gewandt hat. Sie umschlingt ihn mit ihrem ganzen Körper, und er weiß, dass sie ihm vollkommen vertraut. Dann ist da Annabel in einem Sträflingsanzug in einem Bundesgefängnis. Jedes Mal, wenn dieses Bild in meinem Kopf auftaucht, möchte ich am liebsten laut schreien. Wie konnte das nur passieren?
Dann sind da natürlich noch die Gedanken, die unter der Oberfläche lauern. Ich habe ihr geholfen, abzuhauen ... ich habe sie geschützt ... Sie wird es nicht ertragen, alleine unterzugehen. Sie wird mich mit reinziehen. Und dann werden sie alles über Denis Marquet herausfinden. Den Mann, den wir sterbend haben liegen lassen. Annabel will nicht als Einzige untergehen. Sie werden es herausfinden. Es ist nur eine Frage der Zeit...
Jay setzt sich in seinem Kinosessel um. Ich habe vorgeschlagen, dass wir uns einen spanischen Film ansehen, und Jay war gleich Feuer und Flamme. Es ist eine Komödie mit französischen Untertiteln, aber ich mache mir nicht die Mühe, sie zu lesen. Wann immer in dem Film jemand flucht, muss ich an Marco denken, den Spanier, den Annabel in Rouen in unser Apartment geschleppt hat. Er konnte mich nicht ausstehen, und ich habe immer wieder lange darüber sinniert, was ich tun könnte, damit er uns in Ruhe lassen würde.
Dabei war er gar nicht unsere größte Sorge, geht es mir durch den Kopf, und wieder sehe ich Denis Marquet leblos auf dem Fußboden des Apartments liegen, in dem wir alle für kurze Zeit gewohnt haben.
An einer lustigen Stelle im Film beugt sich Jay zu mir und lächelt. Ich hole tief Luft und lächle zurück.
Du gehst vielleicht gerade mit einer Mörderin aus, denke ich, als er meine Hand küsst, die er in der seinen hält. Du weißt nicht,
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