1045 - Zombie-Eulen
Eine schaurige Vorstellung, von der ich noch nicht überzeugt war. Bill Conolly hatte nicht lockergelassen, obwohl er auch nicht viel wußte. Wer Bill kennt, der weiß auch, daß er sich manchmal zu einem Quälgeist entwickeln kann, und so war mir nichts anderes übriggeblieben als zuzustimmen.
In einer Zeitschrift, die für ethnische Minderheiten herausgegeben wurde und es den Menschen ermöglichte, mit ihren Sorgen und Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen, hatte Bill einen Artikel gelesen. Eben über den Mann mit den blutigen oder blutenden Augen. Der Mann hieß Ion Kasanu und stammte aus Rumänien. Wie er aus seiner Heimat nach London gekommen war, wußte Bill auch nicht. Der Mann hatte es zumindest geschafft, bei Verwandten oder Freunden aus der Heimat unterzukommen, und bei ihnen lebte oder vegetierte er jetzt.
Ich schloß den Rover ab und hoffte, ihn noch so vorzufinden, wie ich ihn abgestellt hatte. Zu sehen war niemand, doch wir mußten damit rechnen, von einigen Augen beobachtet zu werden, denn dunkle Verstecke gab es hier ausreichend.
Bill wartete vor dem Rover auf mich. Der Wind blähte seine Jacke auf und wirbelte seine Frisur durcheinander. Als Bill mich hörte, drehte er sich um.
Ich grinste ihn schief an. »Weißt du überhaupt, wohin wir müssen?« fragte ich.
»Ja. Man hat es mir gesagt.«
»Dann geh mal vor.«
Eine Katze schlich auf Samtpfoten vorbei. Sie sah uns blieb stehen und schaute uns an. Ihre Augen leuchteten grün bis blau. Dann riß sie den Mund auf und trollte sich, noch bevor ich ihr über das Fell fahren konnte.
Bill hatte bereits Kurs auf die alten Straßenlaterne genommen, die dort leuchtete, wo sich der Beginn einer schmalen Straße befand. Mehr eine Gasse, deren Boden mit Kopfsteinpflaster bedeckt war, auf dem die Feuchtigkeit ebenfalls wie ein dunkler Spiegel lag, der sich in zahlreiche kleine Stücke aufgeteilt hatte.
Häuser rahmten die Gasse in Hafennähe ein. Es gab keine Lücken dazwischen. Sie standen so dicht beisammen, als hätte man sie festgeklebt, damit sich die alten Gemäuer gegenseitig stützen konnten.
Die Bauten waren nicht alle bewohnt. Viele standen leer. Hin und wieder sahen wir erleuchtete Fenster. Sie allerdings wirkten fremd, als gehörten sie überhaupt nicht hierher.
Es gab keine Kneipe in dieser Straße, kein Geschäft und nur zwei alte abgestellte Fahrzeuge. Mehr Wracks als Autos. Dafür sammelte sich in den Gossen der Müll, der nie an einer Stelle liegenblieb, weil der Wind mit dem Abfall spielt und ihn oft genug dorthin trieb, wo er es gern hatte.
»Und hier wohnen Menschen«, sagte ich.
»Wohnen? Hausen!«
»Traurig für eine Gesellschaft, die nicht eben zu den ärmsten der Welt zählt.«
»Soll nur ein Übergang sein.«
Ich verzog die Lippen. »Meinst du. Oder ist diese Gegend auch zu einem Spekulationsobjekt geworden?«
»Könnte sein. Gelesen habe ich nichts. Die Investoren warten eben auf bessere Zeiten. Bis die eintreten, haben einige Menschen zumindest ein Dach über dem Kopf.«
Wenn man es so sah, hatte Bill recht.
»Und wo müssen wir hin?« erkundigte ich mich.
»Zu dem Haus, in dem noch Fenster erleuchtet sind.« Er deutete schräg über die Straße. »Eine Wohltätigkeitsorganisation hat es unter ihre Fittiche genommen. Aus privaten Spenden wurde es innen so umgebaut, daß Menschen darin leben können.«
»Hast du dich auch daran beteiligt?«
»Nur indirekt. Sheila hat geholfen.«
»Dann seid ihr dort nicht unbekannt?«
»Wie man es nimmt. Ich habe unser Kommen angekündigt, aber ich trete hier nicht als Spender oder Wohltäter auf. Das wissen die Bewohner gar nicht. Ich bin der Mann von der Zeitung. Zumindest habe ich mich so eingeführt.«
Wir gingen über die Straße auf die Haustür zu. Sie versteckte sich in einer dunklen Türnische, die ich rasch mit meiner kleinen Lampe ausleuchtete.
Es stand niemand da und wartete auf uns. Der Strahl glitt wie ein Strich an der Türseite entlang, dann über das innere Mauerwerk und erfaßte ein Klingelbrett.
»Alle Achtung!« lobte ich.
»So etwas mußte installiert werden, John.«
Namen standen keine in den Kästchen, aber der Reporter wußte genau, wo er drücken mußte. Mir gefiel es, daß wir nur hoch in die zweite Etage mußten und nicht bis nach ganz oben.
Man schien bereits auf uns gewartet zu haben, denn die Tür wurde sehr schnell geöffnet. Ein kurzer Druck, wir hatten freie Bahn und standen in einem Hausflur, der düster und eng war, in dem es allerdings
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