Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
hier weg.
Er kann mir nicht diese ganzen Fragen stellen, als wäre mein Leben ein offenes Buch, in dem er lesen und über das er mit mir sprechen kann. Fragen über meine Eltern, meine Schwester, diese furchtbaren Tage und Nächte in Rouen. Abwehrend halte ich eine Hand hoch, als könnte diese Geste die Bombardierung mit Fragen stoppen.
»PJ, bitte, lauf nicht weg. Bitte erzähl mir, wo du hingehst. Ist es wirklich La Defense? Warum kann ich nicht mitkommen? Wir können das schaffen, PJ«, fleht Jay mit glasigen Augen. Unter seiner Mütze läuft der Schweiß hervor. Er braucht eine furchtbar lange Zeit, um seinen Atem wieder zu beruhigen. Er schließt die Augen. Seine Brust hebt und senkt sich heftig unter seinem schwarzen Wollmantel. Als er die Augen wieder öffnet und mich anschaut, liegt in ihnen die flehende Bitte nach einer Antwort - nach irgendeiner Antwort.
»Nein, Jay, ich kann nicht«, sage ich und kämpfe gegen Tränen an. »Ich - ich mache nur alles kaputt.« Und was noch schlimmer ist: Es stimmt wirklich. Ich wische mir mit meinem Schal über das tränenfeuchte Gesicht und renne die Straße entlang, biege bei der nächstmöglichen Gelegenheit nach links ab, in Richtung Pigalle, um aus seiner Sichtweite zu verschwinden.
* * *
Auf der Toilette im Klub verriegle ich die Kabinentür und lehne mich dagegen. In dem Dämmerlicht fühle ich mich seltsam sicher. Zu sehen, wie sehr Jay leidet, ist eine Qual, und zu wissen, dass ausgerechnet ich diejenige bin, die ihm solche Schmerzen bereitet, ist unerträglich. Ich wünschte, ich könnte aufhören, ihm wehzutun, ich wünschte, ich könnte aufhören, mich so sehr in ihn zu verlieben, wie er sich in mich verliebt hat. Mit dem einzigen Unterschied, wie mir bewusst wird, dass er sich fallen lässt und ich alles versuche, um dagegen anzukämpfen. Ich schlinge mir die Arme um die Brust, um nicht zu zittern.
10 • ALEX
Es tut nur kurz weh
Wenn man Französisch lernt, sind die Verben echt das Allerschwierigste. Ich meine, nicht falsch verstehen: Mit meinen Französischkenntnissen komme ich überall gut durch, aber meine Französischlehrerin hat es sich irgendwie in den Kopf gesetzt, dass wir für unseren nächsten Test jedes einzelne existierende französische Verb ins Konditional setzen können müssen. Also gehe ich in der großen Mittagspause in der Bücherei noch mal meine Karteikarten für die Prüfung durch und frage mich nicht zum ersten Mal, wie in meinem Leben alles nur so schieflaufen konnte.
Mein PJ-Plan war doch perfekt! Ich war mir so sicher gewesen, dass meine Mutter Mitleid bekommen und nachgeben würde, sobald sie die neue Version der Ereignisse erfuhr. Aber sie wurde nur ein ganz kleines bisschen nachsichtiger, als sie meine E-Mail bezüglich meiner Freundin in Nöten bekam. Als ich sie das nächste Mal sprach, seufzte sie und sagte mir, ich solle weitermachen.
»Auch wenn du gute Absichten hattest, Alex, musst du lernen, die Verantwortung für deine Fehler zu übernehmen«, erklärte sie mir müde.
»Aber Mom!«, protestierte ich. »Das ist eine grausame und abartige Bestrafung! Ich habe doch nur versucht, einer Freundin zu helfen!«
»Pass mal auf, mein lieber kleiner Robin Hood, ich weiß, dass es dir leidtut«, sagte meine Mom. »Aber es ist nur zu deinem Besten. Ich meine, schau doch mal, wie viel näher wir uns seitdem wieder gekommen sind.«
Ich schluckte meine Galle hinunter und widerstand dem Impuls, einfach aufzulegen. Was war denn das für eine alberne Argumentation? Meine Mom glaubt also allen Ernstes, es hätte unsere Mutter-Tochter-Beziehung verbessert, nur weil ich sie seit meiner Bestrafung öfter anrufe? Na klar rufe ich sie jetzt häufiger an! Und zwar deswegen, um sie darum zu bitten, endlich einen Schlussstrich zu ziehen!
»Ich habe dich lieb, mein Schatz«, säuselte meine Mom ins Telefon. »Aber jetzt muss ich los. Eines Tages wirst du mir dankbar sein.«
Das Schlimmste an den französischen Verben und Zeiten ist, herauszubekommen, wann man sie benutzt.
Unsere Französischlehrerin hat uns gesagt, wir sollten die Konditionalform am besten üben, indem wir Sätze bilden, was wir unter außergewöhnlichen Umständen tun würden.
Si j'avais un million d'euros ...
Si j'avais une vie parfaite ...
Wenn ich eine Million Dollar hätte, könnte ich Mme Sanxay meine Schulden zurückzahlen und ihren Rotznasen für immer Auf Wiedersehen sagen.
Wenn mein Leben perfekt wäre, wäre mein Freund Zack nicht mehr sauer auf
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