Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
prüfen, welcher Raum jeweils verfügbar ist, und die Kunden zu ihren Tänzerinnen zu führen.
»Wenn sie mehr als eine Viertelstunde wollen, müssen sie vorab bezahlen«, erklärt sie mir. »Sie dürfen sich nicht erst entscheiden, dass sie mehr wollen, wenn sie einmal drinnen sind. Wenn sie nach einer Viertelstunde nicht wieder draußen sind, rufst du einen Sicherheitsmann.«
Als plötzlich laute und aufreizend rhythmische und pulsierende Musik aus den Lautsprechern über meinem Kopf dröhnt, knalle ich vor Schreck gegen das Podest und haue mir das Schienbein an.
»Keine Angst«, sagt Griselda. »Ich helfe dir.«
* * *
Der letzte Kunde wird um 8.45 Uhr morgens eingelassen. Wenn er geht, nachdem er fünfzehn Minuten lang in einem der Räume einer Tänzerin zugesehen hat, schließt Freddies Klub tagsüber. Gegen zehn oder elf Uhr abends macht er dann wieder auf. Ich betrachte einen grünen Hundert-Euro-Schein, den mir Griselda in die Hand gedrückt hat. Außerdem ist meine Tasche voll Trinkgeld, das mir die Kunden gegeben haben, nur dafür, dass ich ihnen den Weg zu ihren Privattänzerinnen gezeigt habe.
»Warum machen sie das?«, frage ich Griselda.
»Parce que tu es très innocente. Jung. Schöner als eine Göttin. Du bist zu gut für diesen Ort, finden sie. Du erinnerst sie an ihre Töchter. Nur dass sie wünschten, du könntest für sie tanzen.«
Als sie wieder ins Büro zurückgeht, schaue ich ihr entsetzt nach. Sind denn alle Franzosen so wie M. Marquet?
Es ist morgens - früh, aber doch spät genug, dass viele Leute auf den Beinen sind. Pigalle bietet schon bei Nacht keinen allzu schönen Anblick, aber im Morgenlicht wirkt es geradezu grotesk: Keuchende Männer kommen aus den Bars und Klubs und schauen sich benommen um, um sich daran zu erinnern, wo sie sind. Daneben findet man Teenager und ältere Herrschaften, die einfach ihrem Tagesgeschäft nachgehen.
Als ich so durch das Labyrinth der Straßen im 9. Arrondissement laufe und die Supermärkte und Discountläden langsam schrulligen Geschenkeläden und Patisserien weichen, fällt mir ein, dass der Petit Palais kostenlos und normalerweise drinnen auch recht leer ist. Ich war schon mal in dem Museum, um mir die Kunst anzusehen. Heute gehe ich dorthin, um mir ein unauffälliges Plätzchen zu suchen, an dem ich schlafen kann, bis Jays Fußballtraining vorbei ist.
* * *
»Ist das Apartment denn okay?«, fragt Jay, als wir wieder in dem mediterranen Fast-Food-Imbiss sitzen, in dem wir schon gestern Mittag essen waren. In Paris wimmelt es nur so von solchen Imbissen. Sie nennen sich selbst griechische Restaurants, servieren aber Essen, das eher türkisch oder nahöstlich ist. Schwer und preisgünstig. Sättigend. Wieder dreht sich mir beim Anblick von Jays Sandwich der Magen um. »Gefällt's dir?«
»Ja, es ist toll«, sage ich schläfrig. Ich sitze neben ihm, nicht ihm gegenüber, sodass ich meinen Kopf auf seine Schulter legen kann. Ich frage mich, ob er den Geruch nach Sex - gekauft und verkauft - aus dem Klub riechen kann, der an mir haftet. Kein selbst erlebter Sex, aber der Gedanke daran.
»Wie kommt es, dass du so müde bist?«, fragt Jay weiter und küsst mich oben auf meinen Kopf, ehe er wieder von seinem Sandwich abbeißt. »Was hast du den ganzen Tag gemacht?«
»Ich bin im Petit Palais gewesen. Da gibt es einen Klassikraum, den ich liebe«, entgegne ich. Es kostet mich viel Kraft, ganz normal zu wirken. Ganz normalen Small Talk zu machen. Dauernd wollen mir die Augen zufallen.
»Ach echt? Dir gefällt es da?«
Ich nicke und fühle mich wie unter Wasser. »Ja, es ist toll.«
»Mit Künstlern kenne ich mich nicht gerade gut aus. Ich würde aber gern mehr wissen. Ich fand es total klasse, mit dir im letzten Schulhalbjahr mehr über Ingres zu erfahren. Wir sollten mal zusammen hingehen.«
»Ja, vielleicht«, sage ich. »Wie spät ist es?«
»Fast sieben«, antwortet Jay nach einem Blick auf sein Handy. »Im Ernst, PJ, was ist los? Magst du die Wohnung nicht, in der du bist?«
»Doch, es ist alles wunderbar.« Ich schmiege mein Gesicht an die warme Stelle, an der sein Halstuch auf seinem Pulli aufliegt. Es ist heute schon wieder so kalt.
Die restliche Zeit im Restaurant schweigt Jay.
Ich weiß nicht, warum ich Jay nicht einfach erzähle, was gestern Nacht los war. Wo genau ich Zuflucht gefunden habe. Irgendwie kommt mir das unmöglich vor. Und Jay - er hat keine anderen Trümpfe mehr im Ärmel. Wir haben kein Geld; wir haben keine
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