Beautiful Losers
wie Kieselgrund. Wäre ich Edith nur gefolgt! Hätte ich nur meine Kleider auf den Boden fallen lassen, um in ihr fettiges Kostüm zu schlüpfen! Wieso regt sich erst jetzt, Jahre später, bei der Vorstellung mein Schwanz – wie sie damals in ihrer absurden Bemalung vor mir stand, mit auberginendunklen Brüsten und einem Ausdruck, der an Al Jolson erinnerte? Warum rauscht gerade jetzt, da ich nichts mehr davon habe, mein Blut? Aber ich habe ihre Fettcreme verschmäht. Geh in die Wanne, sagte ich. Ich hörte sie eine Weile plätschern und freute mich auf unseren Mitternachtssnack. Es war ein fieser, kleiner Triumph, der mich hungrig machte.
8.
Eine Menge Priester sind getötet und verspeist worden und so weiter. An den Micmac, den Abénais, den Mantagnais, den Attikamègues, den Huronen hat sich die Gesellschaft Jesu vergriffen, und wie. Und im Wald wurden zweifellos eine Menge Samen vergossen. Die Irokesen haben es anders gemacht, sie haben die Herzen der Priester gegessen. Wie das wohl schmeckt? F. hat einmal ein rohes Schafsherz gegessen, hat er erzählt. Edith mag Hirn. Der erste Schwarzrock, der den Mohawk zum Opfer fiel, hieß René Goupil, am 29. September 1642 hat es ihn erwischt. Hmmm, lecker. Am 18. Oktober 1646 fiel Le Padre Jogues unter dem »Kriegsbeil der Barbaren « . Kann man alles nachlesen, schwarz auf weiß, die Kirche liebt solche Details. Ich ja auch. Auf einer Seite hängen dicke Putten mit schiefen Ärschen, auf der anderen stehen die Indianer. Hier, das ist Catherine Tekakwitha, zehn Jahre später, eine Lilie aus der Erde, die der große Gärtner mit dem Blut der Märtyrer gegossen hat. F., du hast mit deinen Experimenten mein Leben ruiniert. Du hast ein rohes Schafsherz gegessen, du hast Baumrinde gegessen, du hast sogar mal Scheiße gegessen. Wie kann ich neben dir und deinen Abenteuern in der Welt bestehen? Es gibt nichts Deprimierenderes als die Exzentrizität eines Zeitgenossen, hat F. einmal gesagt. Sie war eine Schildkröte, das war die angesehenste Sippe bei den Mohawk. Wir werden nur langsam vorankommen, aber wir werden siegen. Ihr Vater war ein Irokese und, wie sich herausstellt, ein Arschloch. Ihre Mutter war eine getaufte Algoquin, die in Three-Rivers zur Schule gegangen war, ein elender Ort für ein Indianermädchen, wie mir kürzlich eine junge Abénaqui erzählt hat, die ebenfalls dort zur Schule gegangen ist. Die Mutter geriet bei einem Irokesenüberfall in Gefangenschaft, wahrscheinlich wurde sie nie wieder so rangenommen wie damals. Hilfe, rettet mich und meinen dreckigen Mund! Es gab Zeiten, da habe ich mit Engelszungen geredet. Also Gott sollte ich vielleicht lieber aus dem Spiel lassen … Sie war die Sklavin eines Irokesenkriegers. Offenbar hatte sie Schnauze, denn er hat sie geheiratet, obwohl er sich auch so hätte bedienen können. Von dem Tag, an dem sie in den Stamm aufgenommen wurde, genoss sie alle Rechte einer Schildkröte. In den Quellen steht auch noch, dass sie unentwegt gebetet hat. Gluck-gluck, mein Herrgott, bums, drück und pups, du lieber Allmächtiger, schlürf, flitsch, glupsch, hicks, zuck, tschhhhh, schnief, mein Jesus, sie hat ihm bestimmt die Hölle heiß gemacht.
9.
Füg nichts zusammen! Eine Bemerkung von F., er hat mich damals mit dem Satz angebrüllt, vor zwanzig Jahren oder so, als er meinen nassen Schwanz erblickte. Was er in meinen verzückten Augen gesehen hat, weiß ich nicht, vielleicht das schwache Glimmen einer universellen Einsicht, die keine war. Manchmal, wenn ich gerade gekommen bin oder gerade einschlafen will, bewegt sich mein Geist auf einem Pfad, der endlos lang ist, aber so schmal wie ein nachtfarbener Faden. Von Neugier getrieben schwebt mein Geist hinaus über die schmale Landstraße, er strahlt vor Empfangsbereitschaft wie eine Federfliege, die tief und kunstvoll über einen glitzernden Bach gepeitscht wird. Irgendwo draußen, wo ich ihn nicht mehr erreichen kann, wird aus dem krummen Angelhaken ein Speer, und aus dem Speer eine scharfe Nadel, die unsere Welt zusammennäht. Haut wird über Skelette gezogen, Lippenstift auf Lippen gelegt, Edith mit ihrer Fettcreme vernäht. Die Nadel hockt in unserem lichtlosen Halbkeller und näht Gebetsschals und Berge zusammen, sie ist wie ein Strom aus Blut, denn sie macht vor nichts halt, bis der Tunnel sich mit einer tröstenden Nachricht, mit der wunderschönen Erfahrung der Einheit, gefüllt hat. Alles, was in der Welt auseinandergerissen ist – zwei zu einem Paradoxon gehörende
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