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Das Lustschiff

Das Lustschiff

Titel: Das Lustschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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Carolin Winter spannte jeden Muskel ihres Körpers an und sprang mit ausgestreckten Armen ins kühle Nass. Die Wassermassen teilten sich vor ihr, und sie schoss, gleich einem Torpedo, auf den Grund des Beckens, mit kräftigen Stößen hinab in die Tiefe. Das Chlor brannte unangenehm in ihrer Nase, doch eine wenig modische Schwimmbrille schützte ihre Augen, erlaubte ihr den Blick auf den blau gekachelten Boden. Nach fünfundzwanzig Metern erreichte sie das Ende der Bahn. Sie schnappte nach Luft und tauchte die Strecke wieder zurück bis zum Startblock.
    Carolin liebte es, am frühen Morgen in der Alster-Schwimmhalle zu trainieren. Um sechs Uhr war sie meist die einzige Besucherin des Hamburger Hallenbads, dessen ausgefallene Architektur ihm den Namen »Schwimmoper« eingebracht hatte. Lediglich die Bademeisterin, mit der sie schon per Du war, saß am Beckenrand. Sie wirkte müde. Ganz im Gegensatz zu Carolin, die mit jeder weiteren Bahn spürte, wie ihre Energie wuchs, sie immer wacher wurde. Für ihren Job war es unerlässlich, fit zu bleiben. Außerdem war sie Sportlerin mit Leib und Seele. Ohne das morgendliche Schwimmen wäre ihr Tag nicht komplett.
    Nach zwanzig Bahnen legte Carolin eine Pause ein. Sie spürte, wie sich ihre Muskeln zusammenzogen, scheinbar schwerer wurden, als sie sich am Metallgeländer aus dem Wasser zog. Sie schob die Schwimmbrille hoch auf ihre Badekappe und warf einen Blick zu der Uhr am anderen Ende der Halle. Zeit für ein Frühstück. Da bemerkte sie plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf dem Dreimeterbrett im Nachbarbecken. Ein Mann, der eine äußerst knappe Badehose trug, stand dort oben, kerzengerade.
    Sie war also doch nicht die Einzige, die heute Morgen nach Hamburg-Nord gefahren war. Interessiert musterte sie ihn. Seine Haut glänzte vom Chlorwasser, ganz deutlich erkannte sie das ausgeprägte Sixpack auf seinem unbehaarten, angenehm gebräunten Körper. Er hatte die typische Y-Figur, die sich durch auffällig breite Schultern und eher schmale Hüften auszeichnete. Ohne jeden Zweifel war dieser Mann ebenfalls Sportler. Anders war ein solcher Körperbau nicht zu erklären. Carolin trat etwas näher an das Becken heran. Sie war neugierig. Warum sprang er nicht? Traute er sich etwa nicht? Sie musste schmunzeln. Wie ein Angsthase sah dieser Kerl eigentlich nicht aus. Ganz im Gegenteil, es hätte sie nicht überrascht, wenn jemand wie er bei der örtlichen Feuerwehr arbeitete. Was also hielt ihn ab? Genau in dem Moment wandte er ihr den Kopf zu, weil er sie offenbar erst jetzt bemerkt hatte. Ein Lächeln, fast schon eher ein amüsiertes Grinsen, huschte über sein Gesicht. Dann vollführte er einen nahezu perfekten Kopfsprung.
    Das Wasser spritzte meterhoch, schwappte sogar bis zu Carolin, die erschrocken über die unerwartete Dusche aufschrie, ehe die Wassermassen den Turmspringer förmlich verschluckten. Doch nur für einen kurzen Augenblick. Sogleich tauchte der Unbekannte wieder auf, lachte sie an. »Sorry, ich habe Sie zu spät gesehen«, sagte er mit einem leichten Akzent, der amerikanisch klang.
    Carolin schüttelte den Kopf und lachte. Von wegen, er hatte sie doch schon von dort oben bemerkt. Und sein Grinsen verriet, dass es ihm sogar Spaß gemacht hatte, sie nass zu spritzen. Da fiel ihr ein, wie furchtbar sie in ihrer Schwimmkluft aussehen musste, die nicht unbedingt auf modische Trends ausgerichtet war, sondern praktisch sein sollte. Dunkler Einteiler, blaue Badekappe mit dunklen Streifen und Schwimmbrille obendrauf. Die Kombination erinnerte an eine Fliegerkappe. In jedem Fall war das Outfit nicht dazu geeignet, ihre Vorzüge zu betonen. Genierte sie sich etwa plötzlich wegen ihres Aufzugs vor ihm? Das war doch sonst nicht ihre Art.
    Der Mann zog sich elegant aus dem Wasser. »Trauen Sie sich, vom Zehner zu springen?«, forderte er sie mit einem frechen Grinsen heraus. Carolin blickte zu dem Sprungbrett hoch. Es war Jahre her, seit sie zuletzt vom Zehner gesprungen war. Bei dem Gedanken daran wurde ihr leicht mulmig, aber das wollte sie sich vor dem Unbekannten nicht anmerken lassen.
    »Trauen Sie sich denn?«, gab sie die Frage an ihn zurück.
    »Ein Kinderspiel.«
    Natürlich. Was auch sonst. So ein Angeber. Ein äußerst gut aussehender Angeber, verbesserte sie sich. So aus der Nähe betrachtet, war dieses Sixpack noch um einiges beeindruckender.
    »Also? Was sagen Sie? Nehmen Sie die Herausforderung an?«, hakte er nach.
    »Soll das ein Wettkampf werden?«

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