Beck Wissen - Antimaterie - Auf der Suche nach der Gegenwelt
an. Warum stürzen dann die negativen Ladungsträger nicht in den Kern hinein? Offenbar - so die Überlegungen von Rutherford - aus demselben Grund, der auch das Abstürzen der Planeten des Sonnensystems in das Zentralgestirn verhindert: Zwar zieht die gewaltige Masse der Sonne die Planeten an, doch bewegen sich diese auf elliptischen Bahnen um das Massezentrum, so daß entsprechende Fliehkräfte der Anziehungskraft entgegenwirken. In Analogie zum Planetensystem handelte es sich demnach beim Atom offensichtlich um die Miniausgabe dessen, was Astronomen im Universum beobachten -mit dem Unterschied allerdings, daß im System der Mikroweit elektrische Ladungen anstelle von Massen das Geschehen wesentlich bestimmen, während sie im Sonnensystem für die Bewegung der Planeten keine Rolle spielen.
Es schien also völlig klar, daß die Atome nichts anderes waren als Planetensysteme im Miniformat - mit einem sehr kleinen Kern (auch die gewaltige Sonne ist klein im Verhältnis zur Ausdehnung des gesamten Planetensystems), den die negativ geladenen Elektronen auf geschlossenen Bahnen umrasen.
Niels Bohr löst ein Rätsel
So genial die Interpretation der Streuversuche auch schien, so verblüffend es auch war, daß man auf diese Weise einen tiefen Blick in die Mikroweit geworfen hatte – das Analogiemodell hatte zwei Mängel, die man nicht einfach als unbedeutende Schönheitsfehler beiseiteschieben konnte: Die Tatsache, daß sich ein oder mehrere negativ geladene Teilchen um einen positiv geladenen Zentralkörper bewegen sollten, bedeutet nach den Gesetzen der klassischen Physik einen Dipol, der ständig elektromagnetische Strahlung abgeben muß. Dadurch verlieren die umlaufenden Elektronen Bewegungsenergie, so daß sie schließlich in den Kern stürzen müßten. Außerdem kannte man aus den Untersuchungen der Chemiker die scharfen Linien in den Spektren der Gase. Es werden also beim Leuchten verdünnter Gase nur diskrete Wellenlängen von Strahlung emittiert. Doch einen Zusammenhang zwischen den Umlauffrequenzen der Elektronen im Atom nach Rutherford und den Wellenlängen der Linien fand man nicht.
Auf diese Situation reagierte ein junger dänischer Physiker namens Niels Bohr mit einem ungewöhnlichen Vorschlag: Die Elektronen können sich nicht in irgendwelchen beliebigen Bahnen bewegen, wie z.B. die Planeten im Sonnensystem, sondern nur in ganz bestimmten Bahnen, die durch ihre Energie gekennzeichnet sind. Dort aber gelten dann nicht die Gesetze der klassischen Physik. Vielmehr kann der Umlauf der Elektronen auf diesen Bahnen ohne Energieverlust vonstatten gehen. Je weiter entfernt vom Atomkern die Elektronen umlaufen, desto höher ist ihre Energie und umgekehrt. Zwischen den „erlaubten“ Bahnen gibt es keine weiteren. Wird das Elektron einer energetisch niedrigen Bahn von einem Lichtquant getroffen, dessen Energie ausreichend ist, um es in eine energetisch höhere, ebenfalls erlaubte Bahn zu befördern, so wird das Elektron angehoben. Von der energetisch höheren Bahn fällt es spontan auf eine niedrigere Bahn zurück. Die zwischen den beiden Bahnen bestehende Energiedifferenz wird in Form eines Photons (Lichtteilchens) abgestrahlt.
Aus diesem Grunde können auch stets nur Linienspektren mit diskreten Wellenlängen auftreten. Bohrs Hypothese beseitigte also die beiden Hauptmängel des Atommodells von Rutherford mit einem Schlag; außerdem konnte man sich nun auch das Zustandekommen der Linien in den Spektren leuchtender Gase erklären. Überzeugend war vor allem die zahlenmäßige Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment. Aus der Untersuchung der Spektren waren natürlich die von den verschiedenen Gasen ausgesendeten Wellenlängen genau bekannt. Man hatte sogar ganze Serien von Linien im Spektrum des Wasserstoffs gefunden, die jeweils nach ihren Entdeckern benannt sind. Die Theorie lieferte die lückenlose Erklärung für diese Spektren und erfüllte damit die Forderung des Theoretikers Arnold Sommerfeld, der einmal erklärt hatte, das Problem des Atoms sei gelöst, „wenn man gelernt hätte, die Sprache der Spektren zu verstehen“. {2}
Ein berühmtes Experiment, das anschaulich verdeutlicht, worum es sich hier handelt, gelang den beiden Physikern
Abb. 4: Der Anodenstrom in Abhängigkeit von der Anodenspannung beim Franck-Hertz-Versuch
Gustav Hertz und James Franck im Jahre 1914. Sie füllten ein zylindrisches Rohr mit Quecksilberdampf und legten ein elektrisches Feld an. Nun wurde
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