Suesser Als Blut
1. K apitel
E r sah aus wie ein gefährlich schönes Klischee. Das dichte schwarze Haar des Vampirs war im Nacken geflochten, ein Stil, der seine blassen, kantigen Züge hervorragend betonte. Melancholische graue Augen starrten den Betrachter mit düsterer Verheißung an. Schwarze Seide umspielte markante Brustmuskeln und einen Waschbrettbauch. Die langen, sehnigen Beine steckten in einer schmiegsamen Nappalederhose. Ein knöchellanger Mantel ergoss sich über die Steinstufen, auf denen er lässig thronte, was den Eindruck erweckte, er säße in einem verführerischen Schattenteich.
Im Hintergrund war das London Eye, das Londoner Riesenrad, zu sehen, und am Nachthimmel explodierten Feuerwerkskörper.
Dieses Bild prangte auf der Frontseite jeder nationalen Zeitung: eine besonders reißerische Promistory, mit der faszinierenden Zutatenmischung aus Mord und Vampir. Ich fand das Ganze bestenfalls milde interessant – mich ging es jedenfalls nichts an.
Dachte ich zumindest.
Es war Ende September, und London ächzte unter einer ungewöhnlichen Hitzewelle. Die Sonne brannte unbarmherzig herab und brachte die Pflastersteine zum Glühen. Ich saß an meinem gewohnten Ecktisch im Rosy Lee Café und schaute mir das Bild des attraktiven Vampirs an. Die Touristen, die Covent Garden normalerweise in Scharen heimsuchten, hatten sich alle in den kühlen Schatten der ehrwürdigen St. Paul’s Cathedral zurückgezogen, und selbst die Straßen-Entertainer
hatten der Hitze weichen müssen, sodass der gepflasterte Platz nun verlassen dalag. Aber im Café war’s auch nicht viel besser. Es gab keine Klimaanlage, und obwohl Türen und Fenster weit offen standen, um jede Brise einzufangen, lastete die Hitze wie ein zähes Gewicht auf mir.
Nun, wenigstens war’s still und friedlich.
Ich arbeite bei Spellcrackers.com – Wir knacken jeden Zauber! – und hatte den ganzen Vormittag lang Pixies, kleine koboldähnliche Wesen, über den Trafalgar Square gejagt. Die Biester hatten versucht, die riesigen Bronzelöwen mit einem Zauber lebendig zu machen – etwas, das ihre magischen Fähigkeiten bei weitem überstieg. Aber es war schon ihr fünfter Versuch in diesem Monat, und das eine musste man ihnen lassen: Sie waren ganz schön hartnäckig. Die Pixies waren schuld, dass ich mein Mittagessen versäumt hatte. Und nun saß ich hier im Café und wartete auf meinen Imbiss, bevor ich mich mit meinem nächsten Auftrag befasste.
Leider hatte Katie, die Kellnerin, andere Vorstellungen.
Begeistert schob sie mir noch mehr Zeitungen hin. »Hey, Genny, jetzt schau dir die mal an!«
Ich warf einen ergebenen Blick auf die Schlagzeilen.
Promi-Vampir wegen Mordes an seiner Freundin verhaftet, verkündete eine Zeitung in fetten Lettern. Mr. Oktober in Nöten, plärrte eine andere. Und schließlich noch die besonders originelle Schlagzeile: Ein Biss war genug!
Hm. Die würden bestimmt keinen Preis für die Schlagzeile des Jahres gewinnen, höchstens für die Schriftgröße.
Katie deutete mit einem sehnsüchtigen Seufzen auf das Foto des Vampirs. »Hach, das ist alles so tragisch!« Sie streichelte ihren blauen Herzanhänger, den sie nie ablegte. »Findest du ihn nicht auch einfach umwerfend? Dieses Bild von ihm war auch in dem Kalender, weißt du.«
»Hm«, murmelte ich. Ich konnte Katies Teenager-Schwärmerei für Vampire leider nicht teilen.
»Dieser Kalender mit all den touristischen Sehenswürdigkeiten?« Sie stieß mich mit dem Ellbogen an, um mich aus meiner Lethargie zu reißen. »Und den Vampiren in historischen Kostümen? Zum Beispiel das mit diesem schnuckeligen Ritter, der vor dem Buckingham Palace posierte? Uuuh ja, und dann Mister April, der römische Zenturio, also der war verdammt heiß, aber nicht so heiß, wie …«
»Apropos heiß«, unterbrach ich ihren Wortschwall, »du könntest mir nicht vielleicht meinen Orangensaft bringen? Ich komme um vor Durst.«
»Ha, ha, sehr witzig, Genny.« Sie erhob sich und tänzelte mit wippendem Minirock in Richtung Küche. Sie hatte es gut: Trägertop und Mini, das konnte ich mir in meinem Beruf nicht leisten.
Ich schloss kurz die Augen. Dann öffnete ich sie wieder und konzentrierte mich auf Katie, das bedeutete, auf den Teil von mir, der Magie sehen kann. Sie war in einen blauen Schimmer gehüllt, etwa so wie ein Mensch in seine Aura. Ich atmete erleichtert auf. Der Schutzzauber, den ich für Katie gekauft und heimlich mit ihrem blauen Herzanhänger verbunden hatte, funktionierte noch immer
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