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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mainzer
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wider. Die Wirklichkeit insgesamt mit dem menschlichen Bewußtsein ist materiell und erkennbar. Die Wirklichkeit kann nur in ihrem Gesamtzusammenhang erkannt werden. Sie ist als ständige Bewegung zu verstehen und zwar als Übergang von quantitativen zu qualitativen Veränderungen, die sich im Kampf der Gegensätze und ihrer Vereinigung bilden. Dabei bleibt nach dem Gesetz der Negation der Negation das Vergangene und Überwundene im Neuerstandenen auf höherer Ebene erhalten. Der Begriff der Materie wird zudem auf die ökonomische Basis der Gesellschaft erweitert. Wissenschaft und Kultur gehören zum gesellschaftlichen Überbau dieser materiellen Verhältnisse, die sich im menschlichen Bewußtsein widerspiegeln. In späteren Versionen des dialektischen Materialismus zählen Wissenschaft und Technik auch zu den Produktionsfaktoren, also zur Basis der hochentwickelten Industriegesellschaft.
    Die methodisch-erkenntnistheoretische Auseinandersetzung mit dem Materiebegriff des 19. Jahrhunderts in der Tradition des Neukantianismus wird von Friedrich Albert Lange (1828– 1875) eingeleitet. In seiner maßgebenden Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart (1866) zeigt Lange, daß sowohl der Materialismus als auch die traditionellen Systeme der Metaphysik in Gestalt „wissenschaftlicher Weltanschauungen“ ihre Grenzen überschreiten. Wissenschaften können nicht als Weltanschauung und Weltanschauungen nicht als Wissenschaft auftreten. Erkenntnistheoretisch strebt Lange eine Überwindung des Materialismus durch eine physiologische Deutung der Transzendentalphilosophie Kants unter den veränderten Bedingungen der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert an. Kategorien und Grundbegriffe wissenschaftlicher Erkenntnis haben Gültigkeit lediglich in ihrer erfahrungsermöglichenden Funktion. Da die Wirklichkeit kein Absolutum ist, bedarf sie nach Lange der Ergänzung durch Ideale und Werte von Ethik und Religion, Kunst und Mythos.
    Ernst Mach (1838–1916), der ebenfalls experimentell auf dem Gebiet der Sinnesphysiologie gearbeitet hatte, lehnte es als metaphysisch ab, eine materielle Außenwelt unabhängig von Empfindungskomplexen des menschlichen Beobachters zu akzeptieren. Aufgabe der Wissenschaft sei es vielmehr, die Empfindungen der menschlichen Sinnesorgane durch Meßgeräte zu eichen und zu verschärfen, Regelmäßigkeiten und Abhängigkeiten zwischen ihnen festzustellen und nach zweckmäßigen Gesetzen der Denkökonomie zu ordnen. Die Existenz von irgendwelchen ,ewigen‘ Grundgesetzen der Natur wird ebenfalls als metaphysisch (weil durch Wahrnehmung und Empfindung nicht begründbar) verworfen. {24}
    Machs Positivismus, nach dem Erkenntnis nur durch Beobachtung gerechtfertigt ist, beeinflußte zunächst führende Physiker des 20. Jahrhunderts wie z.B. Einstein bei der Begründung seiner Allgemeinen Relativitätstheorie und Heisenbergs Begründung der Quantenmechanik. Später zeigte sich allerdings, daß die Grundbegriffe von Relativitätstheorie und Quantenmechanik wegen ihres hohen mathematischen Abstraktionsgrades nicht mehr unmittelbar auf Wahrnehmungen und Empfindungen zu reduzieren sind. Zudem führte Machs Positivismus zur Ablehnung der Atomtheorie, sofern sie nicht nur als Hypothese, sondern als Wiedergabe einer Tatsache vertreten wurde. So kritisierte er Boltzmanns statistische Thermodynamik, in der makroskopische Wärmeerscheinungen wie z.B. Temperatur durch mikroskopische (und damals nicht beobachtbare) atomare und molekulare Wechselwirkungen erklärt wurden (vgl. Kapitel V.1). Unabhängig von dieser Beschränkung des Machschen Positivismus, die sich in der späteren Entwicklung der Physik zeigte, wirkte seine Methoden- und Metaphysikkritik auf den Wiener Kreis und den darauf aufbauenden logischen Empirismus des 20. Jahrhunderts.

 
     
III. Materie in der Relativitätstheorie
     
     
    In der Relativitätstheorie müssen klassische Abgrenzungen des Materiebegriffs revidiert werden. Der Massebegriff der Mechanik muß in der Speziellen Relativitätstheorie unter den Bedingungen der Lichtgeschwindigkeit in der Elektrodynamik korrigiert werden. Nach Einsteins Masse-Energie-Formel kann Masse vollständig in Energie zerstrahlen. Die Äquivalenz von träger und schwerer Masse führt zur Allgemeinen Relativitätstheorie, deren relativistische Gravitationsgleichung den Standardmodellen der kosmischen Materie zugrunde liegt.
     
     
1. Materie in der Speziellen Relativitätstheorie
     
    In

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