Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Rolle gespielt haben, als es noch keine Gene gab. Vielmehr wird eine Kombination von konservativer und dissipativer Selbstorganisation der Materie erst die Makromoleküle geliefert haben, aus denen sich gengesteuerte Lebensprozesse bilden konnten.
Im Unterschied zu konservativen Selbstorganisationen nahe dem thermischen Gleichgewicht beziehen sich dissipative Selbstorganisationsprozesse der Chemie auf offene Systeme bzw. Reaktionen, die im ständigen Stoff- und Energieaustausch mit ihrer Umwelt stehen (Kap. V.2–3). Mit dieser Art von Metabolismus weisen sie bereits Eigenschaften auf, die auch lebende Organismen besitzen. Auch dort dient der Stoff-und Energieaustausch der Aufrechterhaltung einer Ordnung fern des thermischen Gleichgewichts. Lebende Organismen können aber zusätzlich z.B. auf gengesteuerte Prozesse zurückgreifen, die durch konservative und dissipative Selbstorganisationprozesse der Materie, wie sie die Chemie beschreibt, erst ermöglicht wurden.
VII. Materie und Leben
Die chemischen Elemente, aus denen das Leben auf der Erde entstand, haben sich in der kosmischen Evolution entwickelt. Verschiedene molekulare Modelle zeigen den Weg von der ,unbelebten‘ zur ,belebten‘ Materie in der präbiotischen Evolution. Gen-gesteuerte Wachstumsprozesse werden biochemisch erklärt und bereits in Bio- und Gentechnologie angewendet. Die dabei herausgestellten Kriterien für Leben sind zwar naturwissenschaftlich präzisierbar und relativieren die traditionelle Grenze zwischen,belebter‘ und,unbelebter‘ Materie. Es bleiben allerdings auch Fragen offen, die vom gegenwärtigen Forschungsstand aus nicht beantwortet werden können.
1. Materie in der erdgeschichtlichen Evolution
Bis heute dauern die Metamorphosen der Erdkruste mit Kontinentalverschiebung, Gebirgsbildung und Vulkanismus an. Als Voraussetzung von Leben war neben den vorhandenen chemischen Elementen, Mineralien und organischen Stoffen die Entstehung einer Uratmosphäre von entscheidender Bedeutung. Die heutige Geochemie führt mehr als 80% der Atmosphäre auf Gase zurück, die bereits vor mindestens 4,4 Milliarden Jahren bei Entstehung von Erdkern und Erdmantel aus dem Erdinneren austraten. In dieser Uratmosphäre dominierte Kohlendioxyd. Vorhanden waren auch Methan, Ammoniak, Schwefeldioxyd und Salzsäure, aber kein molekularer Sauerstoff. Die Geochemie geht also von einer Uratmosphäre auf der Erde aus, die bis auf den vorhandenen Wasserdampf den Uratmosphären von Venus und Mars ähneln.
Was dann allerdings mit der Atmosphäre passierte und die näheren Umstände der biologischen Evolution bestimmte, ist bis heute umstritten. Da die präzisen Gasanteile der Uratmosphäre (vor allem Kohlendioxyd) nicht exakt bekannt sind, gibt es einen Spielraum von Erklärungsmöglichkeiten. Die unterschiedlichen Hypothesen legen unterschiedliche Regelmechanismen für das entstehende Klima zugrunde. In der ersten Hypothese von James C. G. Walker, James F. Kasting und Paul B. Hays (1981) werden anorganisch-geochemische Rückkopplungsmechanismen angeführt. In diesem anorganischen Modell entstand aufgrund des vielen Kohlendioxyds in der Atmosphäre ein Treibhauseffekt, der zur Wasserverdunstung und Entstehung des Wasserkreislaufs führte. Aufgrund der Niederschläge gelangte Kohlendioxyd auf den Boden, konnte dort als Kohlensäure mit dem Gestein chemisch reagieren und schließlich als wasserfähiges Calciumcarbonat abgelagert werden. Dieser Vorgang verringerte den Kohlendioxydgehalt in der Atmosphäre. Es entstand also ein negativer Feedback, der den Treibhauseffekt abnehmen ließ. Nach dem anorganischen Modell wurde der negative Feedback durch die Zunahme der Sonneneinstrahlung wieder ausgeglichen. {63}
Demgegenüber führte James E. Lovelock die Kohlendioxydreduktion auf biologische Prozesse zurück. Mikroorganismen entziehen Luft und Wasser Kohlendioxyd, das in ihrem Kalkskelett gebunden und später als Calciumcarbonat abgelagert wird. Berühmt wurde Lovelocks sogenannte Gaia-Hypothese, wonach die Atmosphäre als Lebensbedingung vom Leben selber reguliert und im Gleichgewicht gehalten wird. {64} Anhänger der Gaia-Hypothese haben auch auf die Wirkung von Bakterien hingewiesen, die Verwitterung durch Zersetzung von organischem Material beschleunigen und damit den Kohlendioxydhaushalt der Atmosphäre verringern. Die anorganisch-geochemischen und biologischen Hypothesen gehen also beide von Rückkopplungsprozessen aus. Umstritten ist
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