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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mainzer
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Organismus zu transportieren. In der supramolekularen Chemie spricht man dann von ,Wirt-Gast-Systemen‘. Ein Protein zur Speicherung von Eisen ist z.B. Ferritin. In diesem Fall handelt es sich um einen organischen Wirt mit einem variablen anorganischen Gast, der aufgenommen und abgegeben werden kann.
    Was die Polyedermoleküle der Polyoxometallate betrifft, so erinnert ihre sphärische Struktur an Fullerene, d.h. käfigartige Riesenmoleküle aus Kohlenstoffatomen in der Gestalt eines Fußballs. Das entscheidende Strukturelement sind reguläre Fünfecke, die sich mit gemeinsamen Kanten wie Maschendraht zu Strukturen höchster Symmetrie zusammenwölben (Abb.3). Das Cluster C60 aus sechzig Kohlenstoffatomen bildet vermutlich das rundeste Molekül, das möglich ist. Pythagoreer und Plantoniker werden in den Supermolekülen der Fullerene ihre Annahmen über den symmetrischen Aufbau der Materie bestätigt sehen. {62}

    Abb. 3: Buckminsterfulleren
     
    Der Name ‚Fullerene‘ geht auf den amerikanischen Ingenieur und Philosophen Richard Buckminster Fuller (1895–1983) zurück, der nach diesem Bauprinzip geodätische Kuppelbauten für Ausstellungshallen und Radarkuppeln entwarf. Sie waren der architektonische Ausdruck eines von Systemtheorie, Technologie und Energetik beherrschten Weltbildes, das Buckminster Fuller in den 60er Jahren mit dem Schlagwort vom ,Raumschiff Erde‘ berühmt machte. Mit Einsteins Formel E=mc 2 für die Umwandlung von Materie zu Energie und der molekularen Architektur der Chemie sollte ein neues technologisches Zeitalter als Aufbruch der Menschheit ins Universum organisiert werden. Wie kritisch man auch heute diese technologischen Visionen sehen mag, die ,Buckminsterfullerene‘ stehen in der supramolekularen Chemie nicht nur wegen ihren ästhetischen Symmetrien in hohem Kurs. Von großem technischen Interesse sind die elektronischen Eigenschaften des kristallinen C60. Unter veränderten Bedingungen kann sich das Material wie ein Isolator, Leiter, Halbleiter oder Supraleiter verhalten.
    Bereits Hermann Staudinger hatte in der Polymerchemie die Idee verfochten, durch kontrolliertes molekulares Wachstum große Verbindungen herzustellen. Von aktuellem Interesse für Grundlagenforschung und Anwendung sind die sogenannten Dendrimere (vom griech. dendron für Baum und Polymer), deren verästelte und fraktale Strukturen an Eiskristalle und Baumkronen erinnern. Man spricht auch von Kaskadenmolekülen, da sich die Organisationsschritte dieser Riesenmoleküle nach einem bestimmten Muster in Kettenreaktionen (,kaskadenartig‘) wiederholen. Nach ausschließlich organischen Dendrimeren auf Kohlenstoffbasis werden mittlerweile auch Elemente wie Phosphor oder Silicium benutzt. 1993 wurde ein riesiger Kohlenwasserstoff aus 1398 Kohlen- und 1278 Wasserstoffatomen mit einem Molekulargewicht von 18054 synthetisiert. Bei der divergenten Synthese eines Dendrimers wird durch schrittweises Wachstum eine konzentrische Schicht nach der anderen um eine Kerneinheit gebildet, wobei sich das Molekül immer mehr verzweigt. Bei der konvergenten Synthese werden erst von außen nach innen dieDendrimer-Äste nacheinander aufgebaut und dann mit der Kerneinheit verbunden. In der Natur ist dieses fraktale Bifurkationsprinzip von Bäumen und Korallen, Bronchien oder Blutgefäßen in Organismen bekannt. Die fraktalen Makromoleküle haben die Größenordnung von Enzymen, Antikörpern, DNS, RNS und Viren. Daher werden bereits Anwendungen in der Pharmazie oder Gentherapie z.B. als Vehikel zum Einschleusen von DNS-Sequenzen in lebende Zellen diskutiert.
    Die supramolekulare Chemie erschließt also größenordnungsmäßig einen mesoskopischen Zwischenbereich der Materie zwischen dem mikroskopischen Bereich der Elementarteilchen, Atome und kleinen Molekülen und dem makroskopischen Bereich der Stoffe unserer Alltagswelt. In diesem Zwischenbereich der Materie laufen bereits Selbstorganisationsprozesse ab, die für die Entstehung des Lebens auf der Erde von größtem Interesse waren. In der natürlichen Evolution und dem Wachstum lebender Organismen werden komplexe und große Moleküle schrittweise durch gengesteuerte Prozesse erzeugt. Demgegenüber sind konservative Selbstorganisationsprozesse, wie sie oben an Beispielen der supramolekularen Chemie im Mesobereich der Materie diskutiert wurden, nicht durch Gene gesteuert. In der Evolution, so läßt sich vermuten, werden die molekularen Selbstorganisationsprozesse also bereits eine wichtige

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