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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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den angeblichen Abschaum von Five Points urteilten. Die erdrückende Not ließ in diesem Viertel vielen Menschen oft gar nicht erst die Möglichkeit, zwischen Gutem und Bösem zu wählen, sondern zwang sie, sich unter mehreren ähnlich üblen Alternativen für eine zu entscheiden. Auch Jungen zwischen zehn und fünfzehn Jahren lebten von der Prostitution. In Five Points wie in der benachbarten Bowery gab es stadtbekannte Tavernen und Bierhallen, deren Wirte unter dem bezahlten Schutz der örtlichen Polizei standen und diese Jungen an ihre erwachsenen Kunden verkuppelten. Und viele männliche Vaganten, die ruhelos von Stadt zu Stadt wanderten, zogen in Begleitung eines halbwüchsigen Jungen herum, der alle Pflichten einer Frau erfüllen musste. Ja, den eigenen Körper zu verkaufen und buchstäblich zu Markte zu tragen, wenn kein anderer Ausweg blieb, galt in Five Points weder als anstößig noch als bemerkenswert. Aber dennoch begehrte alles in Becky gegen die Vorstellung auf, dass dies nun auch Mildreds Schicksal sein sollte.
    »Mildred, du darfst dich auf keinen Fall zu so etwas erpressen lassen...«, setzte sie erneut an.
    Doch in dem Moment ging die Tavernentür auf und Lillian Connelly, Mildreds Mutter, erschien. Ihr aufgedunsener Körper und das schwammige Gesicht mit den vielen geplatzten Äderchen verrieten die starke Trinkerin. Sie hielt eine Pfeife in der Hand.
    »Es wird Zeit, dass du dich hier drinnen wieder blicken lässt, Engelchen«, sagte sie mit rauchiger Stimme, aber zuckersüß. »Es reicht nicht, dass ich dein Loblied singe, sondern sie wollen sich auch mit eigenen Augen davon überzeugen, dass ich ihnen nicht zu viel verspreche.« Sie zwinkerte Mildred zu. »Die Gebote steigen!«
    Mildred nickte ergeben und rutschte von der Tonne. »Also dann, bis später mal«, sagte sie resignierend.
    »Überleg es dir gut!«, raunte Becky ihr zu. »Ich flehe dich an, tu es nicht!«
    Das traurige Lächeln, das Mildred ihr daraufhin schenkte, ging Becky wie ein Stich ins Herz, wusste sie doch, dass Missis Connelly ihren Willen bekommen und Mildred im Mermaids & Barrels an den meistbietenden Lüstling verkaufen würde wie ein Stück Vieh auf dem Markt.
    Becky fühlte sich noch kraftloser und deprimierter als vor ihrem unverhofften Wiedersehen mit Mildred, als sie nun wieder ihren Sack aufnahm und sich beeilte, dass sie zu ihrem Vater kam.

8
    D ER Kellerladen Slocum’s Grocery war ein großes und trotz der Petroleumleuchten halbdunkles Loch mit mächtiger Balkendecke, und auch dessen Kundschaft war alles andere als geeignet, Beckys trübsinnige Stimmung zu heben.
    Der vordere Teil war mit Fässern, Bottichen, kleinen und großen Holz- und Blechkisten sowie Säcken, bauchigen Behältern aus Steingut und gebündeltem Feuerholz und Kienspänen voll gestellt. Dahinter fiel der Blick auf ein Durcheinander aus Nägeln, Holzkohle, Werkzeug, Kau- und Pfeifentabak, billigen Kochkesseln, Töpfen, Pfannen, Blechtellern, Krügen, Kartoffeln, Mehl, Zucker, Salz, Trockenfrüchten und dutzenden von anderen Waren, die in großen und kleinen Mengen verkauft wurden, ebenso im Buschel oder Scheffel wie im Wert von nur einem Cent.
    An den Wänden, wo keine der klobigen Holzregale aufragten, standen weitere Kisten aufgestapelt, die mit Lampenöl, Molasse, Rum, Whisky, Branntwein und anderen Produkten gefüllt waren. Zum Angebot gehörte auch eine Vielzahl von Stärkungsmitteln und angeblichen Heiltinkturen, die Joe Slocum wie jeder geschäftstüchtige Ladenbesitzer im Hinterzimmer zusammenbraute und in Flaschen abfüllte. Und von den dicken, rauchgeschwärzten Querbalken hingen in langen, dichten Reihen geräucherte Rindszungen, Schinken, Würste, Schweinshaxen, getrocknete Kräuter, kleine Bündel von Zwiebeln und vieles andere mehr.
    Am hinteren Ende des Geschäftes erstreckte sich eine niedrige schwarze Theke über die gesamte Breite des Raumes. An beiden Enden der Theke standen Flaschen mit billigem Gin, Branntwein und Whisky aufgereiht, aus denen Joe Slocum seiner trinkfreudigen Kundschaft ausschenkte. Jeder Drink kostete bei ihm drei Cent, der Schuss Brandy genauso wie der Steingutbecher voll Bier, das er auf der linken Seite aus einem dort aufgebockten Fass zapfte. Und dort stand ihr Vater bei einer Gruppe von Saufkumpanen gleichen Kalibers und führte großspurige Reden. Auf der rechten Seite lärmten mehrere Frauen, die sich mit Gin und Branntwein in Stimmung brachten.
    »Da bist du ja endlich!«, rief der Vater.

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