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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Sixpence von ihrem Nähgeld abzuzweigen und ihm ein kleines Fläschchen mit betäubendem Laudanum zu kaufen. Inzwischen war er auf Almosen nicht mehr angewiesen, schlug er sich doch mit allerlei Handlangerjobs und Botendiensten durch. Neuerdings arbeitete er sogar regelmäßig für einen der Buchmacher im Viertel als Laufbursche, der durch die Tavernen, Bordelle und Geschäfte zog und Wetten entgegennahm. Und Gott allein wusste, was er sonst noch so alles trieb. Wer von früher Jugend an auf den Straßen von Five Points lebte, den hatte das brutale Leben nicht nur gezeichnet, sondern auch im Überleben trainiert und auf eine Weise gestählt, die in keinem gesunden Verhältnis zu seinem Alter stand.
    Coffin grinste und zeigte dabei eine breite Lücke zwischen seinen vorderen Schneidezähnen. »Du warst ja auch viel zu beschäftigt, deinem Vater einen Bären aufzubinden, um zu bemerken, wie ich dem fetten Slocum eine Wette angedreht habe, die ihr Geld nicht wert ist«, sagte er mit freundschaftlichem Spott. »Du warst wirklich nicht schlecht. Obwohl, mich hättest du mit dem kleinen Drama nicht aufs Kreuz gelegt.«
    Becky konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »So? Bist du dir da so sicher?«
    »Und ob! Man merkt, dass dein Vater nicht den Schimmer einer Ahnung hat, wie dieses Miststück Eleanor Greeley ihre Näherinnen übers Ohr barbiert - und trotzdem noch bei der Stange hält. Sie ist nämlich raffiniert genug, den Bogen nicht zu überspannen. Nie würde sie bei neunundzwanzig Hemden anderthalb Shilling vom Lohn abziehen. Das würde sie schnell in Verruf bringen, sodass sie bald nicht mehr genug Näherinnen hätte.«
    »Du bist wirklich bestens unterrichtet, wie es bei Eleanor Greeley läuft«, sagte sie beeindruckt.
    Coffin zuckte die Achseln. »Man muss seine Augen und Ohren überall haben, wenn man nicht unter die Räder kommen will. Und jetzt gib mir den verdammten Sack. Ich trag ihn dir nach Hause. Du siehst reichlich mitgenommen aus.«
    »Danke«, sagte Becky nur und überließ ihm den Sack mit den vorgeschnittenen Stoffbahnen, und Coffin trug ihr die Last sogar bis zu ihrer Wohnung in den vierten Stock hinauf, wofür sie ihm ganz besonders dankbar war.
    »Lass dich nicht unterkriegen, Becky«, sagte Coffin, bevor er sich davonmachte.
    »Dir dasselbe zu wünschen erübrigt sich ja wohl«, antwortete sie spöttisch.
    Er lachte und dann hatte ihn die pechschwarze Finsternis des Treppenhauses auch schon verschluckt.
    Die Mutter weinte, als Becky ihr die anderthalb Shilling aushändigte. In ihren Tränen verband sich die Erleichterung, wenigstens etwas vom Nähgeld gerettet zu haben, mit der Verzweiflung darüber, dass so viel von ihrem hart erarbeiteten Geld nun verloren war.
    Sie nahmen ihre Arbeit am Küchentisch wieder auf, und Becky wünschte, sie könnte mit ihrer Mutter über das reden, was Mildred ihr anvertraut hatte, und ob es nicht irgendeine Möglichkeit gab, Missis Connelly davon abzuhalten, nun auch ihre jüngste Tochter höchstbietend zu versteigern und in die Prostitution zu treiben. Aber sie wagte es nicht, weil sie wusste, dass ihre Mutter von derlei Dingen nichts wissen wollte und die Augen besonders vor diesem Laster, das überall um sie herum wie Schimmel auf feuchtem Mauerwerk wucherte, fest verschloss.
    Und was hätte es denn auch genutzt? Mildreds Mutter war dem Suff noch viel hoffnungsloser verfallen als ihr Vater, der sich zwar oft genug, aber gottlob nicht regelmäßig betrank. Außerdem bemühte er sich wenigstens immer noch jeden Tag um ehrliche Arbeit. Nein, Missis Connelly würde sich von niemandem von ihrem schändlichen Vorhaben abbringen lassen. Und so abscheulich ihr Treiben auch sein mochte, so war sie doch letztlich nur eine von vielen Frauen in Five Points, die vom Dirnenlohn der eigenen Töchter lebten.
    Becky fiel in eine tiefe Bedrückung, während sie stumm einen Stich neben den anderen setzte, und sie musste sich bezwingen, die Tränen zurückzuhalten. Tränen, die nicht allein ihrer einstigen Schulkameradin Mildred galten, sondern auch ihr selbst, Daniel, ihrer Mutter - und sogar ihrem Vater.

9
    E INE halbe Stunde nach Einbruch der Dunkelheit kam Daniel endlich nach Haus. Sein Gesicht war gezeichnet von einer handfesten Prügelei. Blutige Kratzer zogen sich unter seinem linken, dick angeschwollenen Auge wie die Spuren einer vierzinkigen Harke über die Wange und gingen in eine aufgeplatzte Unterlippe über.
    »Heilige Muttergottes, wer hat dich denn so

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