Befehl von oben
Rutledge.«
Zielstrebig schritt der Wachtmann aus, bog nach zwanzig Metern nach rechts ab und verschwand.
Rutledge zählte bis zehn und eilte in die andere Richtung. Die beiden Türen zum Büro des Ministers waren nicht abgeschlossen. Schnurstracks ging Rutledge durch die erste, dann durch die zweite und schaltete dabei das Licht an. Drei Minuten hatte er Zeit. Einerseits hoffte Rutledge, das Dokument wäre in Brett Hansons Tresor weggeschlossen.
In diesem Falle würde sich nichts machen lassen, denn nur Brett, zwei seiner Mitarbeiter und der Sicherheitschef hatten die Kombination.
Außerdem war er durch eine Alarmanlage gesichert. Doch Brett war stets ein Gentleman gewesen und ein leichtsinniger obendrein, immer so arglos und so vergeßlich, einer von denen, die nie ihr Auto abschlossen, ja nicht einmal ihr Haus, wenn ihre Frau nicht darauf bestand.
Wenn es nicht weggeschlossen war, dann gab es nur zwei Stellen, wo es sein konnte. Rutledge zog die Schublade in der Mitte des Schreibtisches auf und fand die übliche Ansammlung von Bleistiften, billigen Kulis und Heftklammern. Eine Minute verging. Nichts. Fast eine Erleichterung, bis er auf dem Schreibtisch nachsah, und da mußte er fast lachen.
Direkt auf der Schreibunterlage, in den Lederrand geklemmt, lag ein glatter weißer Briefumschlag, unfrankiert, adressiert an den Außenminister. Rutledge nahm ihn in die Hand und faßte den Umschlag nur am Rand an. Unverschlossen. Er schlug die Klappe auf und nahm den Inhalt heraus. Ein einzelnes Blatt Papier, zwei getippte Absätze. An diesem Punkt erschauerte Cliff Rutledge. Bis jetzt war die Übung theoretisch gewesen. Er könnte den Brief wieder hinlegen, einfach vergessen, daß er hiergewesen war, den Anruf vergessen, alles vergessen.
Zwei Minuten.
Ob Brett den Empfang bestätigt hatte? Vermutlich nicht. Wiederum würde er Gentleman gewesen sein. Auf diese Weise hätte er Ed nicht gedemütigt. Ed hatte ehrenwert gehandelt und war zurückgetreten, und Brett hätte ehrenwert darauf reagiert, ihm zweifellos die Hand geschüttelt, mit einem bedauernden Ausdruck im Gesicht, und das war's gewesen. Zwei Minuten fünfzehn.
Entscheidung. Rutledge steckte den Brief in seine Jackentasche, eilte zur Tür, machte das Licht aus, trat wieder auf den Flur und blieb vor der eigenen Bürotür stehen. Dort wartete er eine halbe Minute.
»Hi, George.«
»Hello, Mr. Rutledge.«
»Ich habe gerade Wally hinuntergeschickt, Kaffee heraufbringen lassen.«
»Gute Idee, Sir. Schlimme Nacht. Ist es wahr, daß …«
»Ich fürchte, ja. Brett ist wahrscheinlich mit umgekommen.«
»Verdammt.«
»Wäre wohl gut, sein Büro abzuschließen. Ich habe gerade mal probiert und …«
»Jawohl, Sir.« George Armitage zog seinen Ring Schlüssel hervor und fand auch den passenden. »Er ist immer so …«
»Ich weiß.« Rutledge nickte.
»Wissen Sie, vor zwei Wochen fand ich sogar mal seinen Safe unverschlossen. Das heißt, er hatte ihn schon zugeklinkt, dann aber nicht das Zahlenschloß betätigt.« Ein Kopfschütteln. »Ich glaube, er ist bestimmt noch nie ausgeraubt worden.«
»Das ist das Problem mit der Sicherheit«, erklärte der künftige Staatssekretär mitfühlend. »Die hohen Herrschaften scheinen nie richtig aufzupassen, stimmt's?«
*
Wie schön es war. Wer mochte es wohl getan haben? Die Frage selbst enthielt eine flüchtige Antwort. Die Fernsehreporter, die nichts anderes zu tun hatten, ließen ihre Kameras auf das Seitenruder richten. An das Logo konnte er sich recht gut erinnern, war er doch vor langer Zeit einmal an einer Operation beteiligt gewesen, bei der ein Flugzeug mit dem roten Kranich auf dem Seitenruder gesprengt worden war. Jetzt bedauerte er das beinahe, doch Neid hielt ihn davon ab. Es war eine Frage der Schicklichkeit. Als einer der führenden Terroristen der Welt – er gebrauchte das Wort in Gedanken und genoß den somit privaten Klang des Wortes, das er anderswo nicht verwenden konnte – wäre es ihm zugekommen, dieses Werk zu vollbringen, nicht irgendeinem Amateur.
Und so einer mußte es gewesen sein. Ein Amateur, dessen Namen er zu gegebener Zeit erfahren würde wie jeder andere auf der Welt – aus dem Fernsehen. Wie ironisch. Seit seiner Pubertät hatte er sich dem Studium und der Praxis der politischen Gewalt hingegeben, hatte gelernt, überlegt, geplant – und solche Aktionen ausgeführt, erst als Teilnehmer, dann als Anführer. Und jetzt? So ein Amateur hatte ihn abgehängt; die ganze
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