Die Entlarvung
Kapitel 1
Julia hatte die Privatdetektive überlistetet, die ihr auf den Fersen waren. Sie hatte unter anderem Namen einen Flug mit der Morgenmaschine nach Jersey gebucht und war mit der U-Bahn nach Heathrow gefahren. Deshalb war es unbedingt darauf angekommen, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Sie war erst im allerletzten Moment am Schalter erschienen, um einzuchecken, und war dann, so schnell sie konnte, durch die Abflughalle gelaufen.
Sobald sie in der Luft war, konnte ihr niemand mehr folgen. Während des Fluges gab es einige Turbulenzen, aber Julia machte das nichts aus. Sie liebte es zu fliegen und wurde niemals luftkrank.
Die Wolken am Himmel waren grau und regenschwer. Als die Maschine zur Landung ansetzte, beugte sie sich zum Fenster und sah hinaus. Der Wind hatte ein Loch in die dichten Schwaden gerissen, durch das die Sonne schien. Sie schaute auf einen grünen Landstrich und auf schäumende Wellen, die sich tosend an der zerklüfteten Küste brachen.
Ihre Verwandten holten sie am Flughafen ab.
Freundliche, geradlinige Leute, die sich mühelos in ihren Plan hatten einfugen lassen. Julia hatte einfach vorgegeben, ein paar Tage Urlaub nötig zu haben, und war unverzüglich von den beiden eingeladen worden. Sie verspürte keine allzu großen Gewissensbisse; der eigentliche Grund für ihren Besuch wog schwerer als die kleine Täuschung, derer sie sich bedient hatte. Richard Watson hielt sich auf der Insel auf, der Mann, den sie unbedingt treffen wollte. Sie war ganz sicher, daß er die fehlenden Stücke zu dem Rätsel in der Hand hielt, diesem Puzzle aus Betrug und Tod.
Es war nicht schwierig gewesen, eine Begegnung zu arrangieren. Janey Peterson war ganz versessen darauf, ihre berühmte Cousine im Freundeskreis herumzuzeigen.
Julia Hamilton, Megastar der Fleet Street, Autorin des vielgepriesenen Buches über die Rhys-Kindermorde und Chefreporterin der vom Sunday Herald groß angekündigten neuen Serie ›Enthüllungen‹. Alle konnten es kaum erwarten, sie kennenzulernen, wie Janey eifrig versicherte.
Alle, einschließlich ihres guten Freundes – Richard Watson. Ein Anruf hatte genügt, um Julia eine Einladung zum Abendessen zu verschaffen. Und nun saß sie hier, als Ehrengast an Richard Watsons rechter Seite. Sechs Personen waren an diesem Abend um den Tisch versammelt: Watson und sie selbst, David und Janey Peterson sowie ein Ehepaar namens Thomas. Der Mann hatte eine dröhnende Stimme und gab sich onkelhaft. Seine Frau war schmächtig, sprach so leise, daß man sie kaum verstehen konnte, hatte aber, wie Julia während der Aperitifs feststellte, eine scharfe Zunge.
Julia wußte, daß Richard Watson sie beobachtete. Der Preis, den sie für ihren Bekanntheitsgrad zahlen mußte. Aber sie war es gewohnt, angestarrt zu werden, wußte, wie sie mit aufdringlichen Männern umzugehen hatte. Und mit mißgünstigen Frauen, die ihr nicht nur den Erfolg, sondern auch ihr gutes Aussehen neideten. Sie war abgeklärt genug, um sich weder auf das eine noch auf das andere etwas einzubilden.
»Wir alle sind große Bewunderer von Ihnen«, ließ Bob Thomas verlauten. »Sie müssen uns unbedingt verraten, was es mit den ›Enthüllungen‹ auf sich hat … Den Gerüchten nach sind Sie einem Politiker auf der Spur?«
»Gerüchten sollte man niemals trauen«, erwiderte Julia sanft. »Tut mir leid, aber Sie werden sich wohl gedulden müssen, bis die Serie erscheint.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Er grinste.
»War nur ein Versuch, nichts für ungut. Was hat Sie also auf unsere kleine Insel gelockt – irgendein deftiger Skandal?« Julia schüttelte den Kopf.
»Nichts dergleichen. Ich verbringe einfach nur ein paar schöne, vorweihnachtliche Urlaubstage bei David und Janey. Ich ruhe mich aus und lasse mich verwöhnen.« Sie lächelte den beiden zu, während sie sprach. Sie waren so entgegenkommend und gastfreundlich, so aufrichtig stolz auf sie.
Ganz anders als die kalten, habgierigen Personen, von denen sie in ihrer Berufswelt umgeben wurde. Fiona, Bobs scharfzüngige kleine Ehefrau, beugte sich vor und ergriff das Wort: »Sie haben dieses Buch geschrieben, nicht wahr – das über die Rhys-Morde vor ein paar Jahren? Ich kann mich nicht an den Titel erinnern, aber es hat mir so viel besser gefallen als die Version von Truman Capote … Wie lautete noch gleich der Titel seines Buches?«
»Die Farbe Blut«, warf Julia ein.
»Richtig, so hieß es«, dröhnte Thomas. »Aber Ihr Buch war einfach
Weitere Kostenlose Bücher