Befohlenes Dasein
auseinander, und selbst die Höhe der Schneegipfel bedeutet für sie kein Hindernis. Auf diesen Straßen gleiten granatenförmige Fahrzeuge so schnell dahin, daß man sie kaum mit den Augen zu verfolgen vermag.
Welch ein Unterschied! Es ist das gleiche Bild, das Kan Kamanas Maschine schon beim erstenmal zeigte, und dem er keinen Glauben schenkte. Er hielt dieses Bild für einen Irrtum, er glaubte, daß Entfernung und Zeit falsch eingestellt seien. Das abermalige Erscheinen dieses Bildes auf dem Schirm zeigt ihm, daß es Wahrheit ist, was er gesehen.
Hunderttausend Jahre später ist von dieser schimmernden Millionenstadt nichts mehr zu sehen. Unter dem Brackwasser der Sümpfe sind noch schwarzverkohlte Trümmer sichtbar, armselige Reste, die dem endgültigen Verfall geweiht sind. Wo aber waren nach dieser Zeit die Menschen geblieben? Was hat sich im Verlauf dieser hunderttausend Jahre ereignet, was diese Stadt vom Mutterboden des Da-lun hinwegradierte?
Zehn Minuten sind vergangen, seitdem die beiden Bewohner des Da-lun, Gelehrte und Forscher einer der bekanntesten galaktischen Universitäten, erschrocken und maßlos verblüfft aufschrien. Und noch immer stehen die beiden Männer vor den Okularen und starren dieses ganz und gar unmögliche, absolut unerwartete Bild an. Sie sagen kein Wort, denn das, was sie erblicken, hat ihnen die Sprache genommen.
„Tja“, räuspert sich endlich Kan Kamana, „das hätten Sie wohl nicht erwartet, meine Herren Kollegen?“
Aufatmend wenden sich die beiden Professoren um. Fellh schüttelt den Kopf.
„Nein“, sagt er mit belegter Stimme. „Nein, das hatten wir nicht erwartet.“
„Wir wollen einmal ganz klar darüber sprechen“, nimmt Kan Kamana wieder das Wort. „Dieses Bild beweist uns die Unendlichkeit der menschlichen Entwicklung. Es beweist uns, daß wir uns mit unseren Mutmaßungen um die Entstehung der Menschheit auf ganz falschem Weg befinden. Es gibt nicht nur den unendlichen Raum, sondern auch das unendliche Leben. Planeten und Völker und Kulturen entstehen in ewigem Gleichmaß, aber sie vergehen auch, ohne eine Lücke zu hinterlassen. Wir müssen alles von einer höheren Warte aus betrachten.“ Er deutet auf den hinter der Maschinenverkleidung befindlichen Bildschirm. „Was wir dort sehen, ist nur eine einzige Stufe der Entwicklung in einer riesigen Treppe, deren Ausmaß wir auch nicht annähernd abschätzen können. Was wissen wir denn, um welche Epoche der Menschheitsgeschichte des Planeten Da-lun es sich auf diesem Bild handelt? Das gesamte Weltall wird vom Gesetz des Werdens und Vergehens beherrscht. Vielleicht hat es im Verlauf der Millionen und Milliarden Jahre Dinge gegeben, von denen sich unsere heutige Weisheit nichts, aber auch gar nichts träumen läßt? Wir wissen es nicht. Die Kulturen sind so tief in den Schoß ihrer Mutterplaneten versunken, daß wir sie auch durch Ausgrabungen niemals mehr festzustellen vermögen.“
Fellh rauft sich verzweifelt das Haar.
„Ich bin noch immer fassungslos, lieber Kollege Kamana“, sagt er. „Unsere gesamte Geschichtsforschung ist illusorisch geworden.“
„Nein, Kollege Fellh, das ist sie nicht. Es kommt nun nur noch etwas hinzu. Meine Maschine wird dazu beitragen, daß die Geschichtsforschung sämtlicher Planeten richtiggestellt wird. Wie weit wir zurückgehen dürfen, wird die Zukunft erweisen. Zunächst wollen wir jetzt einmal feststellen, wann die Katastrophe über diese Stadt Be-is – wir wollen sie ruhig weiter so benennen – hereingebrochen ist.“
„Wie wollen Sie das tun, Kollege Kamana?“
„Wir müssen uns an den Zeitpunkt herantasten. Passen Sie auf: ich werde jetzt die Maschine um zehntausend Jahre in der Vergangenheit zurückstellen. Die Maschine wird demnach auf 1 090 000 Jahre der Vergangenheit eingestellt.“
Als Kamana den Bildschirm prüft, befindet sich die Stadt noch am gleichen Ort. Es ist während dieser Jahre nichts passiert.
Er versucht es mit weiteren zehntausend Jahren. Auch jetzt ist noch keine Veränderung festzustellen. Als Kamana beim dritten Versuch den Bildschirm betrachtet, liegt die Stadt in Trümmern.
Kamana geht wieder eintausend Jahre zurück. Die Stadt steht noch.
Wieder fünfhundert Jahre vor. Die Stadt ist zerstört. Aber die Wunden scheinen noch ziemlich frisch zu sein.
Stundenlang suchen die Männer nach jenem Tag, an dem es über die Stadt hereinbrach.
Endlich hat Kan Kamana durch Vor- und Rücktasten jenen Tag des Grauens erfaßt.
Die Katastrophe
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