Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
und dürfen ständig darüber entscheiden, wie wir aus unserem Leben das Beste machen. Und ausgerechnet all dies wird nun zum Stressfaktor – was für eine Ironie. Der französische Soziologe Alain Ehrenberg spricht vom »erschöpften Selbst« (2004). Er charakterisiert die Depression als Folge des Scheiterns an einer von allen Zwängen befreiten Selbstentfaltung. Wenn es nicht gelingt, die vielen Optionen und Chancen auszuschöpfen, um maximal glücklich zu sein, droht eine »Tragödie der Unzulänglichkeit«.
Elisabeth von Thadden vermerkte hierzu in einer Ausgabe der Zeit (2004): »An den Nebenwirkungen eines Medikaments, das doch glücklich machen soll, lässt sich erkennen, wie unglücklich die Leute sind: Im britischen Trinkwasser ist Prozac nachweisbar, jenes Antidepressivum, dessen Konsum im vergangenen Jahrzehnt von neun Millionen Verschreibungen im Jahr auf 24 Millionen gestiegen ist, allein in England. Die ausgeschiedenen Rückstände des Psychopharmakons, die von den Kläranlagen nicht aufgehalten und über die Kanalisation fortgeschwemmt werden, finden sich nun im Grundwasser. Was dem Wohlbefinden auf die Sprünge helfen sollte, ist zum Gesundheitsrisiko für alle geworden.«
In seinem Buch »Verdammt zum Glück« (2001) bezeichnet Pascal Bruckner die zeitgenössische Überforderung als »Fluch der Moderne« und fragt: »Wie soll man wissen, ob man glücklich ist? Wer legt die Norm fest? Und was soll man denen antworten, die kläglich eingestehen: Ich schaffe es nicht?« Längst grassieren Therapievorschläge, die vom optimierten Zeitmanagement bis zum menschlichen Multitasking reichen. Auch die Ratgeberliteratur boomt – aber die Ratlosigkeit noch mehr. Kein Wunder, zumal die einzige Lösung nur außerhalb der konsumtiven Steigerungslogik zu finden ist.
Hilfe verspricht die Konzentration auf eine überschaubare Anzahl von Optionen, sodass Zeit und Aufmerksamkeit reichen, um diese Dinge lustvoll genießen zu können. Wer sich elegant eines ausufernden Konsum- und Mobilitätsballastes entledigt, ist davor geschützt, im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung orientierungslos zu werden. Laut Angabe des Bundesministeriums für Umwelt besitzt jeder Bundesbürger durchschnittlich 10.000 Gegenstände. Die Befähigung zum eleganten und Glück stiftenden Konsumieren bestünde also darin, sich von Wohlstandsschrott zu befreien, der nur unser Leben verstopft. Suffizienz konfrontiert die verzweifelte Suche nach weiteren Steigerungen von Güterbesitz und Bequemlichkeit mit einer simplen Gegenfrage: Von welchen Energiesklaven, Konsum- und Komfortkrücken ließen sich überbordende Lebensstile und schließlich die gesamte Gesellschaft befreien? Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht.
Wer in materieller Optionenvielfalt zu versinken droht, verzichtet nicht durch Reduktion, sondern befreit sich von Überflüssigem. Sich klug jener Last zu entledigen, die viel Zeit kostet, aber nur minimalen Nutzen stiftet, führt im Übrigen zu mehr Unabhängigkeit vom volatilen Marktgeschehen, von Geld und Erwerbsarbeit. Die Kunst der Reduktion bedeutet auch Angstfreiheit. Denn wer weniger benötigt, ist auch weniger angreifbar. Wo sich Suffizienz und moderne Subsistenz ergänzen, werden Lebensstile robust. Wer diese Art des Selbstschutzes praktiziert, amüsiert sich nicht nur entspannt über Peak Oil und die nächsten Finanzkrisen, sondern ist gerüstet für eine Postwachstumsökonomie, denn die wäre nur durch einen prägnanten Rückbau des Fremdversorgungssystems erreichbar.
Die Rolle der Unternehmen
Nach dem Rückbau kommt der Umbau. Der verbleibende Rest des industriellen Systems wäre so umzugestalten, dass die Neuproduktion von Gütern, die viel langlebiger und reparaturfreundlicher sein müssten, eher eine untergeordnete Rolle spielt. Der Fokus läge auf dem Erhalt, der Um- und Aufwertung vorhandener Produktbestände, etwa durch Renovation, Optimierung, Nutzungsdauerverlängerung oder Nutzungsintensivierung. Produzierende Unternehmen (im physischen Sinne) würden zunehmend durch Anbieter abgelöst, die weniger an einer weiteren Expansion der materiellen Objekte als an deren Optimierung und Aufarbeitung orientiert wären. Dies beträfe jene Bereiche der Bestandspflege, mit denen Prosumenten überfordert wären. Kreative Subsistenz und unternehmerische Leistungen könnten sich so ergänzen, um gemeinsam einen konstanten Umfang ökonomischer Fluss- und Bestandsgrößen zu ermöglichen. Dies
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