Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Bedürfnisse sogar mittels noch kürzerer Versorgungsketten befriedigen, nämlich durch lokale Eigenarbeit und Selbstversorgung, sodass gar kein Geld benötigt wird.
Grob vereinfacht lassen sich drei Kategorien von Versorgungssystemen benennen, die durch eine unterschiedliche Länge der Wertschöpfungskette und Rolle des Geldes als Zahlungsmittel gekennzeichnet sind. Entmonetarisierte Lokalversorgung, regionalökonomische Systeme auf Basis zinsloser Komplementärwährungen und – als zu minimierende Restgröße – Leistungen aus globaler Arbeitsteilung könnten kombiniert werden, um die nach Ausschöpfung aller Suffizienzpotenziale verbleibenden Bedarfe so wachstumsneutral wie möglich zu befriedigen.
Allerdings ist die damit verbundene partielle De-Globalisierung nur zum Preis verringerter materieller Kaufkraft und Optionenvielfalt zu haben. Diese Reduktion wäre zu einem Teil als Suffizienzleistung und zum anderen Teil durch moderne Subsistenzpraktiken aufzufangen. Aber genau dasselbe Resultat müsste sich ohnehin zwangsläufig ergeben, wenn alle industriell arbeitsteilig erzeugten Produkte mit den externen Kosten entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette belastet würden: eine prägnante Kaufkraftreduktion und eine Veränderung der relativen Preise zugunsten regional oder lokal produzierter Güter.
Kreative Subsistenz als Ersatz für Industrieoutput
Die kürzeste Wertschöpfungskette entspräche einer vollständigen oder »reinen« Subsistenz. Wer beispielsweise gemeinsam mit anderen Nutzern einen Gemeinschaftsgarten betreibt, trägt zu einem Versorgungsmuster bei, das kein Geld, kaum Kapital, keinen Gewinn, keinen Zins und folglich keinen Wachstumszwang kennt. Durch eine Verkürzung der Erwerbsarbeit ließen sich Selbst- und Fremdversorgung so kombinieren, dass die Abhängigkeit von einem monetären Einkommen sinkt. Neben ehrenamtlichen, gemeinwesenorientierten, pädagogischen und künstlerischen Betätigungen lassen sich mittels urbaner Subsistenz drei Outputkategorien generieren, durch die industrielle Produktion partiell ersetzt werden kann.
1. Nutzungsintensivierung durch Gemeinschaftsnutzung: Wer sich einen Gebrauchsgegenstand vom Nachbarn leiht, ihm als Gegenleistung ein Brot backt oder das neueste Linux-Update installiert, trägt dazu bei, materielle Produktion durch soziale Beziehungen zu substituieren. Objekte wie Autos, Waschmaschinen, Gemeinschaftsräume, Gärten, Winkelschleifer, Digitalkameras etc. sind auf unterschiedliche Weise einer Nutzungsintensivierung zugänglich. Sie können gemeinsam angeschafft werden oder sich im privaten Eigentum einer Person befinden, die das Objekt gegen eine andere Subsistenzleistung verfügbar macht. Auch Gemeingüter können hierzu geeignet sein.
2. Verlängerung der Nutzungsdauer: Ein besonderer Stellenwert käme der Pflege, Instandhaltung und Reparatur von Gütern jeglicher Art zu. Wer durch handwerkliche Fähigkeiten oder manuelles Improvisationsgeschick die Nutzungsdauer von Konsumobjekten erhöht (zuweilen reicht schon die achtsame Behandlung, um den frühen Verschleiß zu vermeiden), substituiert materielle Produktion durch eigene produktive Leistungen, ohne notwendigerweise auf bisherige Konsumfunktionen zu verzichten. Angenommen, es gelänge, in hinreichend vielen Gebrauchsgüterkategorien die Nutzungsdauer der Objekte durch eigene oder getauschte handwerkliche Instandhaltungsmaßnahmen durchschnittlich zu verdoppeln, dann könnte die Produktion neuer Objekte entsprechend halbiert werden. Auf diese Weise würde ein Rückbau der Industriekapazität mit keinem Verlust an Konsumfunktionen der davon betroffenen Güter einhergehen.
3. Eigenproduktion: Ausgerechnet jenes Bedürfnisfeld, dessen Kollaps unweigerlich zur Überlebensfrage würde, nämlich Ernährung, verkörpert durch seine exorbitant hohe Mineralölabhängigkeit geradezu das Gegenteil von Resilienz (Widerstandsfähigkeit). Im Nahrungsmittelbereich erweisen sich Hausgärten, Dachgärten, vor allem Gemeinschaftsgärten und andere Formen der urbanen Landwirtschaft als dynamischer Trend. Dieser Bereich ist schon deshalb nicht zu unterschätzen, weil konventionelle Wertschöpfungsketten im Agrar- bzw. Lebensmittelsektor derart schwerwiegende ökologische Schädigungen hervorrufen, dass jede auch nur teilweise Substitution entsprechende Entlastungseffekte zeitigt.
Neben dem Ernährungssektor sind in vielen anderen Bereichen Subsistenzpraktiken möglich, etwa künstlerische und handwerkliche
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