Begegnung im Schatten
türkischen Grenze, auf dem sie mit den Eltern als junges Mädchen mit dem Wohnwagen campierte. Dort gab es unterhalb der Steilküste eine kleine, schlecht zugängliche Bucht. Dorthin wollte sie.
Ein heißer Tag empfing sie.
Sandra mied die Hauptstadt Sofia, sie fuhren durchs Rosental, erreichten Burgas und kamen abends, die Sonne hatte sich bereits hinter dem nahen Berg zurückgezogen, ziemlich erschöpft an ihrem Ziel an.
Den Platz, schon früher nicht die Krone der Campingplätze, fand sie völlig verödet vor; den Versorgungsbau im Zentrum als eine Ruine. Aber sie hatte es nicht anders erwartet, und es war ihr so gerade recht.
Sie stellte den Wagen nah an das Gemäuer, dass er von der unweit verlaufenden Straße aus nicht gesehen werden konnte.
Sie aßen eine Kleinigkeit, taten noch ein paar Schritte bis zur Klippenkante, sahen hinunter aufs schon nachtdunkle Meer und hörten auf die Schläge der Brandung. Lissi tauchte noch einmal kurz in ihren mittlerweile sehr lauwarmen Bottich, dann gingen sie zur Ruhe, Sandra mit erwartungsvoller Vorfreude auf den kommenden Tag.
Schon als die ersten Sonnenstrahlen über die Kante stechend das Auto trafen, hielt es Lissi nicht mehr. Sie drängte zum Wasser, kaum dass sie einige Bissen zu sich genommen hatte.
Mit einigen Strandutensilien bewaffnet machten sie sich auf den steilen, mitderweile verwachsenen Trampelpfad, der hinab in die Bucht führte und Lissis aufrechtem Gang erhebliche Schwierigkeiten bereitete.
Der Strand dunklen Sandes, sauber und unberührt, als hätte ihn 100 Jahre lang kein Mensch betreten, nötigte nachgerade zum Bad. Und Lissi ließ sich auch nicht halten. Sie rannte, was Sandra bislang an ihr noch nicht gesehen hatte, unter Zuhilfenahme einer Hand zum Wasser, tauchte elegant hinein, schwamm, tauchte, sprang in geschmeidigen Bewegungen und erinnerte so in der Tat an die Eleganz eines Seehunds.
Sandra Georgius atmete befreit auf. Sie hatte das befriedigende Gefühl, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. An das Danach dachte sie in diesem Augenblick nicht.
Die Tage verrannen, im Nichtstun zwar, aber für Sandra viel zu schnell. Sie las, was sie sich schon lange zu lesen vorgenommen hatte, oder träumte auch nur einfach in den Tag. Und sie spürte, wie wohl ihr das tat.
Oft tollten sie gemeinsam im Wasser, spielten mit einem Ball, Sandra haushoch unterlegen, aber mit großem Spaß. An manchen Tagen schickte Poseidon hohe Wellen. Sie genossen ausgelassen, durch diese zu tauchen, auf ihnen sich tragen zu lassen.
Einmal, nach Tagen der erste Mensch, kam ein Milizionär den Pfad herabgestiegen. Sandra fuhr schnell in ihren Bikini. Aus früherer Zeit wusste sie, dass an den Stränden offiziell Prüderie angesagt war, und wenn schon FKK, dann eingezäunt und nach Männlein und Weiblein getrennt. Mit bangem Gefühl sah sie dem Mann entgegen und schätzte sich glücklich, dass Lissi außer Sicht auf großer Schwimmtour war.
Der Staatsdiener erwies sich als harmlos. Seine in Englisch geradebrechte Frage, ob sie zwei junge Männer mit einem Hund gesehen habe, tat sie eher als Vorwand ab, vielmehr glaubte sie, dass es ihn trieb, die junge Frau am Strand aus der Nähe zu betrachten. Und sehr wahrscheinlich hätte er das auch ohne ihren Bikini ertragen.
Nach einer halben Stunde trollte er sich.
Lissi blieb oft stundenlang im Wasser, und wenn sie nicht schwamm, lag sie auf einer vorgelagerten flachen Felsbank und sonnte sich. Oft tauschten sie tagsüber kaum zwei Sätze miteinander aus.
Sandra ordnete dieses Verhalten der Arteigenheit der Spezies zu, der Lissi entstammte. ,Trotz ausschließlich menschlicher Bildung müssen sich ja wohl ihre Gene in irgend einer Weise Geltung verschaffen’, sagte sie sich.
Einige Male fuhr Sandra ins nahe Dorf Warwara, um frisches Gemüse zu holen, das auch Lissi für die Zubereitung ihrer Nahrung – was sie übrigens selbst besorgte – benötigte.
Achtopol, das nächstgelegene Städtchen an der türkischen Grenze, suchte Sandra nur auf, um zu tanken, für sich Getränke, zum Beispiel einen einheimischen Rotwein, den sie mochte, einen frischen Fisch oder Dinge einzukaufen, die es im kleinen Warwara nicht gab. Unbedenklich ließ sie bei solchen kurzen Ausflügen Lissi allein. Diese wusste, wie sie sich verhalten würde, sollte sich jemand nähern: hinein ins Wasser.
Sandra Georgius’ Urlaub näherte sich dem Ende.
Lissi lag ausnahmsweise neben Sandra unter dem provisorischen Sonnensegel.
Da sagte Sandra,
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