Behandlungsfehler
Einleitung
B ehandlungsfehler – da denken die meisten Menschen als erstes an die Schere im Bauch. Und so etwas kommt tatsächlich vor. Ref 1
Vor einiger Zeit kam eine Mandantin zu mir, bei der die Ärzte nach einer Operation eine Klemme im Bauch vergessen hatten. Das gute Stück war zehn Zentimeter lang, und eigentlich wäre es nicht zu übersehen gewesen. Aber irgendwie war das trotzdem passiert. Die Patientin klagte nach ihrer Operation immer wieder über Bauchschmerzen und Krämpfe. Niemand wusste, was ihr fehlte. Ein Jahr später hat ein Arzt sie geröntgt – und da sah man sie, die Klemme. Der Körper hatte sie langsam immunologisch eingebaut. Zu Anfang war sie sicherlich noch beweglich gewesen, aber bald saß sie fest. So wie eine Spinne ihre Beute fesselt, hatte das Gewebe die Klemme umschlossen.
Für die Boulevard-Zeitungen sind solche Fälle ein gefundenes Fressen. »Bei OPs werden jedes Jahr rund 2700 Gegenstände in Patienten vergessen«, schrieb die BZ am 3. Oktober 2011. »Das ist ein Thema, das den Leuten wirklich unter die Haut geht.«
Für mich als Juristin sind das eher unspektakuläre Fälle. Die Lage ist klar, denn die Schere gehört nicht in den Bauch, und wer sie darin liegen lässt, muss dafür haften, muss zahlen für die Unannehmlichkeiten, die der Patient erlitten hat. Das ist ein klassischer Behandlungsfehler.
Wenn es um Behandlungsfehler geht, wird meist am Schaden orientiert diskutiert. Ein ausgezehrter Junge ohne Haare, eine Frau, die nach einer ärztlichen Behandlung im Rollstuhl sitzt. Da hat der Arzt einen Fehler gemacht, für den er einstehen muss. »Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich mich niemals behandeln lassen, aber mit mir hat keiner gesprochen.« Hier wird Schuld zugewiesen, da werden Menschen vorab verurteilt. Für jede Abweichung des Ist- vom Sollzustand wird der Arzt verantwortlich gemacht.
Aber das ist nicht das, was das Arzthaftungsrecht ausmacht. Das Arzthaftungsrecht ist differenziert, schwierig, spannend, und nicht immer lässt sich ein Schuldiger finden, auch wenn die Auswirkungen für das Individuum im Einzelfall verheerend sind.
In diesem Buch berichte ich von meiner Arbeit. Ich bin Ärztin und Anwältin und habe mich als Fachanwältin auf das Medizinrecht, das Arzthaftungsrecht, spezialisiert. Kein anderes Rechtsgebiet ist so emotional geprägt wie das des Arzthaftungsrechts. Und keines ist so dicht dran am realen Leben. In meinem Beruf geht es stets um Eingriffe in die höchsten Rechtsgüter: Leben und Gesundheit. Hinter den Fällen, die ich tagtäglich erlebe, verbergen sich menschliche Dramen. Das macht meinen Beruf als Fachanwältin für Medizinrecht so einzigartig, vielschichtig und auch interessant. Ich habe deutschlandweit Klienten. Ihre Schicksale lassen mich auch nach Feierabend nicht los. Nie hört mein Kopf auf zu denken, nie hört er auf, nach Lösungen zu suchen.
Ich möchte erzählen, aufklären, das Bewusstsein der Betroffenen schärfen und Mut machen, dass Sie als Patient Ihr Recht bekommen können, wenn Sie fehlerhaft behandelt worden sind. Und ich möchte auch Ängste nehmen, möchte aufzeigen, dass Sie sich als Patient in Deutschland recht sicher fühlen können. So viele Behandlungen werden tagtäglich in diesem Land von Ärzten durchgeführt, so viele Operationen geplant und ausgeführt – an manchen Tagen vermutlich
mehr als eine Million. Dagegen steht, dass beispielsweise die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern im Jahr 2010 etwa 4000 Behandlungen wegen vermuteter Fehler überprüft hat, und nur in circa einem Drittel dieser Fälle ein vermeidbares, behandlungsfehlerhaftes Vorgehen festgestellt wurde.
Aber wenn dann etwas passiert, löst das Schicksale aus, verändern die Fehler oftmals ein ganzes Leben. Und das ist häufig sehr tragisch. Müttern wird das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen, Ehen gehen in die Brüche, Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz und manch einer sinkt unter die Hartz-IV-Grenze. Da ist anschließend nichts mehr so, wie es vorher war. Von den gesundheitlichen Folgen und körperlichen Schmerzen ganz zu schweigen.
Und wenn mir jemand sagt, man solle sich damit trösten, dass es schlimmere Dinge auf der Welt gibt, sage ich: Nein, die gibt es zwar, aber das eigene Leid ist immer das größte, und das wird sich nicht ändern. Es lässt sich alles toppen, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn, aber das eigene Leid spürt man, es trifft einen
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