Beißen will gelernt sein (German Edition)
1
»Gehiiirrrn!«
»Ja, ich weiß.«
»Gehiiiiirrrnnn!«
»Ysabelle?« Die Wohnungstür schlug mit einem dumpfen Knall zu und ich hörte meine Mitbewohnerin Noëlle laut und vernehmlich stöhnen. »Eines Tages werden wir Mr Sinclair hoffentlich dazu bringen, diese Tür zu reparieren … Ysabelle?«
»Elle est hier, im Wohnchambre!«, rief Sally, meine andere Mitbewohnerin, und schwebte quer durch den Raum.
»Gehiiirn!«
»Vous avez vollkommen recht!« Sally strahlte meinen Klienten an, als sie an ihm vorbeischwebte, und verschwand durch die Wand nach nebenan.
»Oh.« Die Tür zum Wohnzimmer ging auf und Noëlle schaute mit besorgter Miene herein. »Weißt du, dass im Hausflur eine Horde Zombies wartet?«
Ich seufzte und warf meinem Klienten ein – wie ich hoffte – beruhigendes Lächeln zu. »Ja, ich weiß, und bitte, Noëlle, ›Zombies‹ ist politisch wirklich nicht korrekt. Man sagt ›Wiedergänger‹ oder ›funktionell Verstorbene‹.«
»Na gut, im Hausflur sind mehrere funktionell Verstorbene, die Strip-Poker spielen, und wenn Mr Sinclair sie sieht, kriegt er einen Anfall. Du weißt doch, dass er etwas gegen die gewerbliche Nutzung der Wohnung hat.«
»Ähm, Gehirn!« Tim, mein neuster beratungsbedürftiger Wiedergänger, räusperte sich und sah mich gequält an.
»Entschuldige die Störung«, sagte ich rasch und bedeutete Noëlle zu verschwinden. Sie verdrehte die Augen, schloss die Tür und ließ mich mit meinem Klienten allein. »Du hattest angefangen, mir von den Hänseleien zu erzählen, die du kürzlich erlebt hast.«
»Ja, Gehirn. Besser gesagt: Gehiiiiiirrrn! Langgezogen und in angewidertem Ton, begleitet von einem feinen Sprühnebel aus Spucke. Sie haben es immer wieder geschrien und so getan, als wäre ich mit Messer und Gabel in den Händen auf sie zugewankt, um ihnen das Gehirn aus dem Kopf zu holen. Die Klischees in den zeitgenössischen Filmen, die von solchen Leuten, wie ich sie an der Bushaltestelle getroffen habe, voll und ganz übernommen werden, sind eine absolute Beleidigung für mich. Können wir nicht irgendetwas dagegen unternehmen? Müssen wir so etwas widerspruchslos hinnehmen? Kann man die Öffentlichkeit denn nicht über das wahre Wesen von Wiedergängern aufklären?«
»Daran arbeiten wir ja mit aller Kraft, aber wie du weißt, ist es ein langer Weg bis zur gesellschaftlichen Anerkennung, und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass wir das Ziel in naher Zukunft erreichen werden.«
»Qu’est-ce que c’est, zum Teufel?« Sally, die wieder ins Wohnzimmer gekommen war, als Noëlle hereingeschaut hatte, sah entsetzt aus dem Fenster.
»Sally, bitte, mäßige deine Ausdrucksweise!«
»Pardon. Aber, merde, dans la rue haben sich Scharen von Zombies versammelt. Je vais le Kricketschläger holen, falls sie versuchen, l’appartement zu stürmen.«
»Da, genau das meine ich!« Tim zeigte auf Sally, die uns freundlich anlächelte und rasch ins Nebenzimmer schwebte. »Deine … was auch immer. Diese Art von Vorurteilen verbitte ich mir!«
»Sally ist mein Kontrollgeist«, erklärte ich. »Auch für sie muss ich mich entschuldigen. Vor einiger Zeit ist sie auf die Idee verfallen, dass sie lieber Französin sein will. Seitdem nennt sie sich Fleur und spricht diesen grässlichen Mischmasch. Wir hoffen, dass es nur eine Phase ist, die bald vorübergeht.«
Tims Augen, die mich an eine besonders ekelige Bonbonsorte erinnerten, quollen hervor wie bei einem alten Mops. »Dein Kontrollgeist? Du hast einen Kontrollgeist? Ich dachte, du arbeitest für die Gesellschaft zum Schutz der Wiedergänger.«
»Tu ich ja auch, aber die Beratung ist nur eine Teilzeitbeschäftigung«, erklärte ich. »Gelegentlich gebe ich auch Nachhilfe und Privatunterricht in Englisch und Geschichte, und manchmal arbeite ich als Medium für Leute, die Kontakt zu Verstorbenen aufnehmen wollen. Letzteres würde ich wahrscheinlich häufiger tun, wenn ich einen Kontrollgeist hätte, der nicht so … nun, du hast Sally ja selbst gesehen. Aber meine persönlichen Probleme gehören nicht hierher. Wir wollten über deinen erfolgreichen Wiedereintritt in ein sinnvolles, erfülltes Leben sprechen.«
»Bislang ist es weder erfolgreich noch sinnvoll, geschweige denn erfüllt«, sagte Tim verdrießlich. »Aber irgendetwas müssen wir doch gegen die Vorurteile tun können, denen wir ausgesetzt sind, oder?«
Ich zuckte hilflos die Schultern. »Was schlägst du vor?«
»Nun … als Pazifist lehne ich natürlich jede Form
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