Behind A Mask
Hause von dem Vorfall erzählte, meinte mein Vater bloß, dass es zu seiner Schulzeit tabu war, sich als homosexuell zu outen. Er meinte, wenn man es schon nicht für sein eigenes Wohl geheim hält, dann sollte man es der Familie zuliebe tun! Mein eigener Vater würde mich also als Schande ansehen …? Er wäre auch gegen mich? Obwohl ich gar nichts getan habe!!
Ich würde meine Freunde und Familie verlieren. Sie würden mich nicht mehr akzeptieren. Nur weil ich schwul bin. Als mache mich das zu einem anderen, einem schlechten Menschen. Ich bin doch ich. Nach wie vor. Aber wäre ich noch immer sein Sohn?
Ich habe Angst. Ich möchte nicht – will nicht! – einsam enden. Habe ich nicht auch das Recht auf Liebe? Darauf, zu lieben und geliebt zu werden!? Ich bin als Mensch nicht weniger wert als andere. Ich habe es verdient, glücklich zu sein! Aber das werde ich nie sein. Nie. Niemals. Denn ich werde mich nie outen. Ich habe Angst. Ich schaffe das alles einfach nicht mehr.
Es tut so furchtbar weh.“
Auch jetzt noch spüre ich das innerliche und äußerliche Zittern meines fünfzehnjährigen Ichs, während es etwas aufschreibt, das nur einen Bruchteil seiner damaligen Gefühle und Ängste hatte ausdrücken können.
Ich fühlte mich gefangen, von den Menschen um mich herum beobachtet und nur gemocht, weil ich so tat, als sei ich jemand, der ich eigentlich nie war. Ich fürchtete, dass nur ein falscher Schritt – nur ein falsches Wort oder ein verräterischer Blick – mich jeden kosten würde, der mir wichtig war.
Der schwule Junge, von dem ich in diesem Eintrag schrieb, kam irgendwann nicht mehr in die Schule. Es gab unzählige Theorien, wo er abgeblieben sein mochte. Sehr bald kam heraus, dass es ihm einfach zu viel geworden war. Er hatte keinen anderen Ausweg für sich gesehen als den Tod. Er starb einsam – so, wie er auch gelebt hatte. Eine Überdosis Schlaftabletten hatte ihm die Qualen des Lebens genommen.
Als ich davon erfahren hatte, fragte ich mich, ob auch ich so enden würde. Ob mir die Menschen überhaupt eine andere Wahl lassen würden, sobald ich mich outete – falls ich mich denn outete. Und so lebte ich noch sehr lange mit einem Geheimnis, das keins hätte sein dürfen. Weil ich niemanden hatte, der mir Mut spendete. Weil ich niemanden hatte, mit dem ich mich austauschen konnte.
Hätte ich heute die Möglichkeit, zurück zu reisen, würde ich mein junges Ich an genau diesem Tag aufsuchen. Ich würde ihm sagen, dass alles gut wird. Dass die Welt deswegen nicht untergeht. Dass es andere wie mich gibt, die glücklich sind. Dass ich mich nur noch etwas gedulden und keine Angst haben müsste. Dass ich meinen Weg finden würde – sobald ich nur mich selbst fand.
Ja, einige meiner ehemaligen besten Freunde verlor ich. Sie ließen mich nach meinem Outing fallen. Aber andere blieben und ich gewann viele neue dazu. Und dieses Mal waren es wahre Freunde … Das erste Mal in meinem Leben hatte ich echte Freunde, wie ich heute weiß. Denn sie mochten und mögen mich. Mich. Mich, der ich wirklich bin – egal was kommt.
Ein Arm legt sich von hinten um meine Taille und ich fahre leicht erschrocken in die Gegenwart zurück.
„Was ist das?“, wispert Ben gegen meinen Nacken und ein sanfter Schauder läuft mir kitzelnd meinen Rücken hinab.
Ich hatte sein Kommen überhaupt nicht gehört.
„Geschichte“, antworte ich wahrheitsgetreu und werfe das grüne Buch in den Karton. „Geschichte aus längst vergangenen Tagen …“
„Dann lass die Geschichte ruhen und fang endlich an zu packen.“ Er lacht leise über meine Trödelei und haucht mir einen zärtlichen Kuss auf die Schläfe. „Oder willst du nicht mehr so schnell wie möglich mit mir zusammenziehen?“
Und ob ich das will! Es gibt nichts, das ich mehr will.
Ohne weitere Zeit zu verlieren, verstaue ich mein restliches Hab und Gut in den unzähligen Kartons. Ich muss mich beeilen, denn ein Zimmer weiter warten meine Freunde und die ganze Familie mit helfenden Händen auf mich. Sie alle freuen sich für Ben und mich. Restlos alle. Auch mein Vater.
Gedanken
(Teil 2)
Langsam senkt sich die wärmende Sonne gen Horizont und berührt schon die Dächer der kleinen Einfamilienhäuser, hinter denen sie gleich vollständig verschwinden wird. Ein frischer Wind zieht auf und die schmale Gasse leert sich nach und nach. Kinder werden von ihren Eltern von den Balkonen aus nach Hause gerufen, junge Mütter bringen ihre Babys in die warme Stube und die
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