Willi von Bellden (German Edition)
Ich rannte um mein Leben. Niemals zuvor hatte ich größere Angst gefühlt, und noch nie zuvor hatte ich Bekanntschaft mit solch einem fiesen, undurchsichtigen und emotionslosen Rüden gemacht wie diesem Dobermann, der hinter mir her war wie der Teufel höchstpersönlich, um mich mit seinen mächtigen Pranken zu packen, damit seine spitzen, blutunterlaufenen Zähne mich in Stücke reißen konnten. Obwohl ich so schnell wie möglich rannte, konnte ich seinen heißen, fauligen Atem hinter mir riechen, ganz dicht, fast so, als würde er mein Ohr berühren. Doch noch hatte ich eine Chance. Noch konnte ich ihm entkommen. Alles, was ich dazu benötigte, war eine saftige Portion Glück und eine Verwandlung in Super-Doggy, was im Grunde genommen kein Problem darstellte. So etwas sollte doch möglich sein.
Hakenschlagen konnte ich vergessen, genauso wie einen überraschten Stopper. Zu gefährlich, denn ich wusste nicht, welche Maximalkraft dieser Köter sein eigen nannte, doch meine hielt sich in Grenzen, was angesichts meiner kurzen Beine auch nicht weiter verwunderlich ist. Das Einzige, womit ich diese Bestie hinter mir haushoch übertrumpfen konnte, war mein Supergehirn. Doch in diesem Augenblick nutzte mir diese beneidenswerte Eigenschaft reichlich wenig, da niemand an einem Millionärs- oder Wissensquiz interessiert war.
Ich rannte. Und rannte. Und rannte. Meine Zunge hing mir aus dem Hals wie ein kalter Waschlappen, die Beine wurden schwerer, und mein Herz drohte aus meiner Brust herauszuspringen. Kurzum: Ich war dabei schlappzumachen. Hinter mir knurrte der Deschlers Dobermann gefährlich laut, als wollte er mich in den letzten Sekunden meines Lebens noch verhöhnen.
Und dann war es so weit. Mit einem letzten Satz versuchte ich über die Mauer des Friedhofes in Buhlenberg zu springen, doch meine Vorderpfoten verloren an der glatt verputzten Mauer den Halt. Gefletschte Zähne verfingen sich in meinem Hinterteil und rissen an mir, sodass ich schließlich loslassen musste und mit einem lauten Knall auf dem nassen, kalten Boden aufschlug. Ein mächtiger Schatten, der sich drohend über mich beugte, verdunkelte meine Ahnungen und sorgte dafür, dass rein nichts davon zu dem Zentrum für hochsensible Empfindungen in meinem Kopf gelangen konnte.
Zähne, an denen noch Fleischfetzen und die Überreste von Tieren hingen, kamen mir gefährlich nah.
Jetzt war es so weit, ich blickte dem Tod in die Augen. Alles, was mir noch zu tun übrig blieb, war: Die Melodie des Todes anzustimmen und im Kampf zu sterben. Ohne Gegenwehr wollte ich das Feld nicht räumen.
»Was tut er da?« Ein kleines Gesicht, von einem goldenen Blondschopf eingerahmt, starrte entsetzt zu mir herunter. Ich starrte ebenso zu ihr hinauf, während ich noch am Überlegen war, wieso ich eigentlich mit ausgestreckten Pfoten auf dem Rücken im Garten lag. Und wieso waren da so viele Gesichter direkt über mir? Wenn ich mich anstrengte, konnte ich Anny erkennen, Tanner, Tiara, Lulu und ... die kleine Mimi.
»Er hat geträumt«, antwortete Lulu.
»Und was richtig Schlimmes muss es gewesen sein«, meinte Tiara fachmännisch und beugte sich noch ein Stück weiter zu mir herunter, sodass ihre Nase fast meine berührte.
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, gab Mimi zum Besten. »Ich habe gar nicht gewusst, dass Hunde solch bewegte Träume haben können!«
Das war der Auslöser. Alle fingen an zu lachen, ja, sie steigerten sich geradezu hinein, klopften sich mit den Händen auf die Oberschenkel oder ließen sich ins Gras plumpsen, wo sie sich wie die Verrückten wälzten, vor allem die Kinder.
»Und wie er die ganze Zeit mit den Bei... mit den Bei... mit den Beinen gestrampelt hat!« Tanner weinte nun sogar.
Nachdem ich die ganze Zeit nur ein Auge geöffnet hatte, beschloss ich, nun beide zu Hilfe zu nehmen, um mich aus dieser peinlichen Situation zu befreien.
»Hast du seine Pfoten gesehen? Damit hat er sich irgendwo in der Luft an einem unbekannten Punkt festhalten wollen.« Tiara brachte nur unter starken Windungen ihres Körpers diesen Satz hervor, was alle wiederum zum Schreien komisch fanden.
Ich fand, es war an der Zeit, diesen Platz zu verlassen, an dem ein wertvolles Familienmitglied gerade der Häme und Lächerlichkeit ausgesetzt war, und das war nur aus dem einen Grund überhaupt möglich: Meine Wenigkeit hatte zuvor ihr Leben gerettet!
Ich war noch nicht weit gekommen, genau genommen nur eine Biegung weiter ums Haus, da kamen sie mir alle
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