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Bei Anruf - Angst

Bei Anruf - Angst

Titel: Bei Anruf - Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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erinnerte ihn an mindestens
fünf Amarusettos zuviel. Die Wirklichkeit überfiel ihn mit unfreundlicher
Wucht. Er schlurfte zum Fenster, zog die Vorhänge auf und starrte hinaus aus dem
zweiten Obergeschoss.
    Draußen war es finster.
Laternen brannten im Dorf. Unten auf dem Hof war ein Geräusch. Dietmar ahnte
die hohen Berge ringsum mehr als dass er sie sah. Auf dem Dach gegenüber lag
Rauhreif. Also eine Nacht mit Null-Graden und zu wenig Schlaf.
    Er schlurfte ins Bad und trank
ziemlich viel Wasser. Zehn Minuten später war er angezogen und klopfte an der
Tür nebenan, wo Adolf Tagner pennte, der — laut Havliczek — angeblich
Westermeier hieß. Dietmar musste lange klopfen. Sein Komplize maulte und wollte
Frühstück. Dietmar wartete unten in der Gaststube auf ihn. Eine mürrische
Bedienung war schon auf und servierte Kaffee. Auch für die Gesamt-Rechnung — Logis
und Verzehr — war sie zuständig. Dietmar beglich alles, gab ein ordentliches
Trinkgeld und trank die vierte Tasse Kaffee, womit er Adolf eine weg trank,
denn in der großen Kanne waren nur sechs.
    „Ich fühle mich wie ausgekotzt.“
Adolf stellte seine Reisetasche neben den Stuhl und ließ sich nieder.
    „So siehst du auch aus.“
    „Muss an dem verdammten Likör
liegen. Wir sollten ihn
    vergessen.“
    „Den trinken wir nie wieder.
Aber wir verscherbeln das Rezept.“
    „Hoffentlich ist es nicht so
kalt — da oben am Berg.“
    „Wir bewegen uns. Das macht
warm. Denk an die Mönche. Die dürfen nicht mal fluchen, wenn sie frieren.“
    „Mönch werde ich nie.“ Er
zündete sich eine Zigarette an.
    Draußen war es etwas heller
geworden, aber nicht viel. Eisige Luft. Über den Gipfeln im Osten ein
goldfarbener Strich.
    Adolf fuhr einen dunklen Ford
aus dem Top-Bereich der Werksmodelle, Dietmar einen braunen Landrover, der
trotz seiner sechs Jahre erst 18 000 Kilometer gelaufen war.
    Einsteigen. Ab! Dietmar kannte
den Weg. Hinterm Dorf schlängelte sich die schmale Gebirgsstraße bergan — zum
Glück war das außer Sicht der letzten Häuser. Die beiden blieben ungesehen.
Bevor es richtig steil wurde, war ein kleiner Parkplatz angelegt: leer, von
Sträuchern umstanden. Hier sollte Adolfs Wagen zurückbleiben.
    Beide hatten dann alle Hände
voll zu tun. Die gelben Folien wurden auf den Rover geklebt. Dabei entstanden
Falten und Blasen, aber auf Schönheit kam es nicht an. Dietmar montierte die
gestohlenen, italienischen Nummernschilder.
    Weiter!
    Geredet wurde wenig. Was sie
brauchten, lag im Fond: Strumpfmasken, Totschläger, Gaspistolen — die waren
scharfen Waffen so ähnlich wie gutgemachtes Falschgeld einer echten Banknote,
Stricke zum Fesseln, Klebeband zum Knebeln und ein kleines Diktiergerät mit
frischer Batterie. Dietmar hatte es zigmal überprüft. Ihm war klar: Die
Situation würde nicht so sein, dass er die 155 Namen bzw. lateinischen
Bezeichnungen der Kräuter aufschreiben konnte. Aufnehmen würde er das
Rezept. Und zwar dreimal. Jeder Mönch würde das Rezept aufsagen müssen.
Zutaten, Mengenangabe, Tricks bei der Produktion. Dann konnte man vergleichen
und überprüfen, ob einer log.
    Klare Sache! Trotzdem war
beiden immer noch übel von zuviel genossenem Likör.
    Der Landrover quälte sich durch
die Kurven bergan. Vereiste Fahrbahn. Ohne Winterreifen wäre überhaupt nichts
gegangen. Auf der einen Seite immer dieser schaurige, schwarze Abgrund — geradezu
widerlich. Der Schlund der Hölle. Unbegreiflich, dass sich die Mönche dort oben
ihr Kloster erbaut haben — dachte Dietmar. Aber vielleicht ist damals — vor
Jahrhunderten — eine versteckte Lage der ideale Bauplatz gewesen. Und wo ein
Kloster steht — da steht’s nun mal. Bis in alle Ewigkeit, bzw. bis der letzte
Mönch ausstirbt und der Verfall zu wüten beginnt. Dietmar hatte noch nie vom
Abriss eines Klosters gehört. Selbst die in bevorzugten Wohnlagen behaupteten
sich. Da konnte kein Immobilien-Hai und kein Industrie-Konzern was ausrichten
mit ‘nem verlockenden Höchstpreis-Angebot für Grund und Boden.

    „Verdammt!“, fluchte Adolf. „Auch
das noch.“
    „Was ist?“
    Vor ihnen auf der Straße flog
eine Gebirgsdohle auf — startete mühsam, wintermüde, mit mächtigen schwarzen
Schwingen. Der schwarze Schnabel sah gefährlich aus. Erst als der Vogel über
dem Abgrund schwebte, zog er die Beine ein wie ein Flugzeug das Fahrgestell.
    „Der Rabe!“, sagte Adolf. „Das
bringt Unglück.“
    „Das war kein Rabe, sondern
eine Dohle. Die sehen sich nur sehr

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