Bei Interview Mord
Pfeil geschossen. Unsere Reporterin Jutta Ahrens ist vor Ort. Weiteres erfahren Sie gleich in der Sendung ›Drive Time‹.«
Eine andere Männerstimme, die vom Band kam, sagte bedeutsam »Radio Berg«, und ein vielstimmiger Mädchenchor sang die Silben noch mal einzeln: »RA-DI-O-BEEEEEERG «. Jemand flüsterte anschließend ganz verwegen für alle, die es nicht mitgekriegt hatten: »Radio Berg!« Musik fing wieder an.
Michels sah blass aus. Ich hatte plötzlich den Drang, mich zu bewegen, und stand auf. Ich ging hinüber ins Büro, nahm das Telefon und drückte den Nummernspeicher von Juttas Handy. Die Teilnehmerin war nicht zu erreichen, bekam ich gesagt. Klar. Sie hatte das Telefon natürlich ausgeschaltet.
Nervös stapfte ich zurück ins Schlafzimmer, wo Michels immer noch vor sich hin starrte. Dann hatte ich die Zigarettenschachtel in der Hand.
»Rauchen Sie?«, fragte ich, und er schüttelte den Kopf.
Ich zog eine Camel heraus.
Die Euroscheine fielen genau vor Michels' Füße.
Auftrag
Als ich Jutta endlich an die Strippe bekam, war es kurz nach elf. Ich hatte den ganzen Abend versucht, sie auf dem Handy zu erreichen. Vergeblich. Zwischendurch versuchte ich es bei Radio Berg in Kürten, doch dort sagte mir eine Frau Pollmeier, Jutta Ahrens sei nicht in der Redaktion. Am liebsten hätte ich mich ins Auto gesetzt und wäre nach Bergisch Gladbach gefahren. Aber ich hatte meine Karre nun mal verpfändet.
Viel später dann kam ich auf die Idee, Jutta zu Hause anzurufen, um ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Ich ließ es zweimal klingeln, und da ging sie ran.
»Ach, Remi«, sagte sie und klang erschöpft. »War das alles furchtbar…«
Ich hörte einen kurzen Plumps; sie hatte sich wohl in ihr weißes Sofa fallen lassen. Ein Glas klackerte.
»Ich habe alles in den Nachrichten verfolgt.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist. Wenn du neben jemandem stehst und mit ihm redest… und im nächsten Moment wird er erschossen. Und die arme Heike…« Es gluckerte. Dann hörte ich nur noch ein lang gezogenes Seufzen.
»Soll ich vielleicht raufkommen? Ich meine, wenn du jetzt nicht allein sein willst oder so was.«
»Ja. Komm ruhig. Trinken wir was zusammen.«
Juttas Haus lag auf dem Brill. Da, wo die reichen Leute wohnen. Der Fußweg zu ihr hinauf führte durch das größte zusammenhängende Villenviertel Deutschlands - eine Attraktion, auf die man in Wuppertaler Reiseführern immer wieder hingewiesen wird, weil man sie wahrscheinlich in dieser streckenweise doch ziemlich hässlichen Stadt nicht erwartet.
Mir war das Flair des Viertels im Moment ziemlich egal. Im Schein der Straßenlampen sahen die Häuser sowieso nicht besonders malerisch aus. Außerdem lag das Villenviertel am Hang unterhalb der Briller Höhe. Das bedeutete für mich strammes Bergaufmarschieren, und so was hatte meine Laune noch nie gehoben.
War man endlich oben an Juttas eiserner Pforte angekommen, hatte man es immer noch nicht ganz geschafft. Vierundfünfzig Natursteinstufen führten zu ihrem Zuhause, einem modernen, lang gestreckten Kasten, der sich an den Hang schmiegte. Ich arbeitete mich schnaufend hinauf. Endlich erreichte ich die große Milchglastür und setzte die lange Klingelmelodie in Gang.
Jutta hatte nicht nur am Telefon ziemlich erschöpft gewirkt, sie sah auch so aus. Sie hatte offenbar geduscht, ihre aschblonden, halblangen Haare waren feucht, und sie trug einen weißen Bademantel. Sie begrüßte mich flüchtig, dann gingen wir in ihr riesiges Wohnzimmer, in das meine Wohnung zweimal reingepasst hätte. Hinter dem Panoramafenster lag das nächtliche Wuppertal; von den grauen Betonklötzen, die sich im Tal drängten, blieb nichts übrig als eine hübsche Ansammlung von Lichtern.
Jutta setzte sich in die weiße Couchgarnitur und zog ihre Beine an. Auf dem Glastisch standen eine angebrochene Flasche Wein, zwei Kölschflaschen und ein Glas. Offenbar war das Bier für mich.
»Bedien dich«, sagte Jutta.
Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, setzte mich und schenkte mir ein Bier ein.
»Dabei hatte ich mir das alles so schön vorgestellt«, sagte sie und nippte an ihrem Wein. »Weißt du, das sollte eine ganze Serie von Sendungen werden. ›Menschen im Bergischen live‹ . Lauter Interviews mit berühmten Leuten aus dem Bergischen Land. Claudia hatte diese Idee fürs Sommerloch.«
»Claudia?«
»Claudia Schall, die Chefredakteurin von Radio Berg. Das war meine erste Sendung. Meine
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