Beifang
zusammen und legte es zurück. »Ich nehme an«, fragte sie mit kühler unbeteiligter Stimme, »das Gepäck, das die Deportierten nicht selber tragen mussten, ist anschließend unter den Familien von NSDAP-Mitgliedern verteilt worden?«
»Es ist versteigert worden«, antwortete Berndorf.
»Und der Erlös?«
»Der ging an den Fiskus. An das Finanzamt.«
»Eben«, sagte Judith Kahn. »Es hat sich also um eine von Staats wegen erfolgte Ausplünderung gehandelt, nicht wahr? Folglich ist es allein Sache der Bundesrepublik Deutschland, die rechtmäßigen Eigentümer der Kette und dieses Ringes ausfindig zu machen und den Schmuck ihnen oder deren Erben zu übergeben. Dass es sich dabei um jüdischen Schmuck handelt
und bei der rechtmäßigen Eigentümerin vermutlich um eine Jüdin, nämlich um mich, hat nur insofern eine Bedeutung, als der Schmuck gerade deshalb von Amts wegen zurückzugeben ist und nicht in einer Nacht-und-Nebelaktion. Sie haben mir folgen können?«
»Ja«, antwortete Berndorf und drehte sich wieder zum Steuer, »ich habe Ihnen folgen können. Nur glaube ich, Ihre Großmutter hätte gewünscht, dass der Ring sobald als möglich ihrer Tochter oder Ihnen zugestellt wird.«
»Wir befinden uns nicht in der Situation des Jahres 1942«, antwortete Judith Kahn.
Barbara fügte mit leiser Stimme hinzu: »Sie hat Recht.«
Schweigend drehte Berndorf den Zündschlüssel herum und stieß aus dem Parkplatz zurück.
Eine halbe Stunde später nahm er die Ausfahrt Ulm-West und fuhr, um die Bahnübergänge in Blaustein zu vermeiden, über den Westring; ohne dass er es beabsichtigt hätte, kam er so am Haus in der Halde 7 vorbei, und weil er nun einmal da war, hielt er auch an.
»Hier hat die Frau gewohnt, der der Ring anvertraut wurde«, erklärte er, und weil das dann doch nicht genügte, musste er erzählen, was er von dem Steinwurf wusste. Und dass er vermute, jene Marianne Gaspard sei aus welchen Gründen auch immer dazwischengegangen und habe sich - vielleicht - der verletzten Jüdin sogar angenommen.
»Warum soll sie das getan haben?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Berndorf. »Vielleicht hat sie nicht auf das Abzeichen geachtet.«
Ihre Mutter Alexandra, wandte Judith Kahn ein, habe nach dem Krieg Stuttgart und Herrlingen besucht und gefragt, ob sich jemand an ihre Mutter erinnere. Niemand habe sich erinnert, niemand habe etwas gesehen, niemand habe mit irgendetwas zu tun gehabt …
Berndorf nickte. So war das damals. Nicht nur damals.
»Wenn es so war, wie Sie sagen«, fuhr Judith Kahn fort und
beugte sich nach vorne, »warum hat sich diese Frau nicht gemeldet? Sie hätte doch nichts zu verbergen gehabt - es sei denn, sie wollte den Schmuck behalten.«
»Vielleicht wollte sie das«, antwortete Berndorf.
»Glauben Sie das?«
»Nein. Sie hat den Schmuck nie getragen, und sie hat ihn immer versteckt. Sie wollte nichts damit zu tun haben. Zum Schluss hat sie ihn für ein paar Mark verkauft. Nicht, weil sie das Geld gebraucht hätte. Sie wollte den Ring aus dem Haus haben.«
»Das klingt alles sehr widersprüchlich«, meinte Judith Kahn.
»Vielleicht hat sie auch ganz einfach Scham empfunden«, schlug Berndorf vor.
»Sagten Sie Scham?«
Berndorf zögerte mit einer Antwort. Ja, wollte er sagen: Scham. Diese Margarethe Gaspard hatte gewusst, was mit dieser Frau geschehen würde. So, wie es alle gewusst hatten. Hätte sie ihr helfen können, helfen müssen? Mit dem einbeinigen Nazi-Beamten als Ehemann in der Wohnung? … Aber was weißt du schon! Vielleicht hat sie sich danach, als es zu spät war, Vorwürfe gemacht. Hat nachts die Gedanken gewälzt, wie sie ihrem Mann hätte erzählen können, da sei eine Tante aus Stuttgart zu Besuch gekommen und werde ein paar Tage bleiben?
»Dann eben nicht Scham«, antwortete er. »Vielleicht Erstarrung. Trotz. Angst vor dem Ehemann. Vielleicht konnte sie auch nur nicht zugeben, dass sie ganz genau gewusst hat, welches Schicksal auf die alte Frau wartet.«
»Es tut mir leid«, sagte Judith Kahn, »ich verstehe es noch immer nicht.« Sie stieg aus und fotografierte das Haus, Berndorf sah es, und es ging ihm auf die Nerven. Aber wer hatte ihm gesagt, er solle hier halten?
»Die Jalousien sind alle heruntergelassen«, sagte Judith Kahn, als sie zurückkam und sich wieder in den Wagen setzte. Das sei doch ein schönes Haus, warum stehe es leer?
»Eine junge Frau ist dort ermordet worden«, antwortete er abweisend. »Übrigens war sie es, die den Schmuck Ihrer
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