Beinssen, Jan
Bäume, die kaum Pflege benötigten. Der Blick durch die Terrassentür blieb Gabriele verwehrt. Sämtliche Rollläden waren heruntergelassen worden. »Mist!«, stieß sie aus.
Gabriele zog es zurück zum vorderen Teil des Grundstücks. Eine Weile trat sie unentschlossen von einem Bein auf das andere, dann steuerte sie zielstrebig auf das Garagentor zu.
»Was hast du vor?«, wollte Sina wissen, die am liebsten längst gegangen wäre.
»Ein letzter Versuch.« Gabriele stöhnte, als sie das Garagentor aufhievte.
»Das darfst du nicht!«, ermahnte sie Sina erneut.
»Wieso? Es war nicht verschlossen.« Gabriele schlug ein feucht modriger Geruch entgegen, als sie die Garage betrat. Vorsichtig sah sie sich um. Ein großer weißer Ford Sierra füllte den Raum fast vollständig aus. An einer Wand lehnten einige Ersatzreifen, daneben standen Ölkanister und ein Werkzeugkoffer. Ohne Skrupel probierte Gabriele aus, ob die Türen des Wagens verschlossen waren. Sie waren es, und sogleich verlor sie das Interesse an ihrer eigenmächtigen Aktion.
Doch Sinas Interesse war in diesem Moment erwacht. Zunächst legte sie nur den Kopf schief, dann bückte sie sich und schließlich kroch sie unter das Heck des Fords.
»Was sollen denn diese akrobatischen Übungen, Kleine?«, erkundigte sich Gabriele. »Hast du etwas entdeckt?«
Sina ließ sich Zeit mit ihrer Inspektion. Als sie wieder unter dem Wagen hervorkroch, waren ihre Wangen verschmiert. Aber sie grinste zufrieden. »Diese Familienkutsche hat wohl jemand mit einem Geländewagen verwechselt. Der Unterboden ist völlig verdreckt«, stellte sie fest.
Gabriele wusste nicht so recht, was sie mit dieser Information anfangen sollte. »Na und?«
»Überall hängen verkrustete Schlammbatzen, als wäre das Auto über einen schlecht befestigten Feldweg gelenkt worden. Die gute Frau Probst hat ihrem Ford einiges zugemutet.«
»Na und?«, wiederholte Gabi.
»Wohl eher aufgeweichter Waldboden«, präzisierte Sina ihre Beobachtung und förderte einen Dreckklumpen zutage, an dem Kiefernnadeln klebten. »Möchte wissen, wo die Probst unterwegs gewesen ist. Um zu ihrer Arbeit zu kommen, musste sie jedenfalls durch keinen Wald fahren.«
»Um meinen Biedermeiersekretär zu klauen, aber ganz gewiss auch nicht«, meinte Gabriele und zog das Garagentor hinter ihnen wieder zu. »Das bringt uns alles nicht weiter«, ärgerte sie sich. »Wir müssen die Nachbarn ausquetschen, ob die etwas über den Verbleib von Cornelia Probst wissen.«
Sina riet ab: »Wir haben uns in den letzten zehn Minuten schon verdächtig genug gemacht. Ein Wunder, dass die Anwohner nicht längst die Polizei gerufen haben. Lass uns lieber so schnell wie möglich verschwinden.«
Gabriele war anderer Meinung. Das Argument mit den Nachbarn fand sie zwar einleuchtend, sie war jedoch nicht bereit, so einfach das Feld zu räumen. Sie sah sich um, wobei ihr Blick auf eine Gestalt auf der gegenüberliegenden Straßenseite fiel. »Den fragen wir!«
»Was?« Sina wusste sofort, von wem Gabriele sprach, und protestierte heftig: »Das ist ein Penner. Was erwartest du dir denn von dem für Auskünfte?«
Gabriele sah sie befremdet an: »Derartige Vorurteile hätte ich eher von mir als dir erwartet. Nur Mut, Schätzchen!«
Ehe sich Sina versah, ging Gabriele mit großen Schritten auf den Obdachlosen zu. Eine wahrhaft schillernde Persönlichkeit: Der Hausierer, dessen Alter irgendwo zwischen 40 und 60 liegen mochte, hatte langes, ungepflegtes Haar und ein wettergegerbtes Gesicht, das von einem Leben unter freiem Himmel zeugte. Das Ungewöhnliche an ihm war seine Garderobe. Er trug ausschließlich Kleidungsstücke in Violett. Vom Hemd bis zur Hose, vom Halstuch bis zu den Ohrringen – alles changierte farblich zwischen Violette und Lila. Sogar einen farblich passenden Ring hatte er sich übergezogen.
Als die Frauen auf ihn zu kamen, versuchte er, sich aus dem Staub zu machen. Doch Sina und Gabriele waren schneller und stellten sich ihm in den Weg. »Tach auch«, sagte Sina flapsig, weil sie hoffte, so den geeigneten Ton zu treffen.
»Grüß Gott«, antwortete der Obdachlose mit vernehmbarem Widerwillen. Er vermutete in ihnen offenbar zwei Frauen vom Sozialamt oder – schlimmer noch – von der Polizei.
»Wir hätten da ein paar Fragen an sie«, sagte Gabriele und musterte ihn streng.
Der Mann schlug die Augen nieder. »Sind Sie vom …«
»Keine Sorge, wir kommen von keiner Behörde«, stellte Sina klar. »Sind Sie öfter hier
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