Beinssen, Jan
darum, Ihre Erlebnisse auf der Insel Usedom wiederzugeben: ihre Tage in Peenemünde.«
»Was?« Gabriele versteifte sich. Bei dem Stichwort Peenemünde durchströmte sie eine Flut unangenehmer Erinnerungen. Impulsiv zog sie den Vorhang zurück und verschwand wieder im Hinterzimmer.
Cornelia Probst folgte ihr. »Die Öffentlichkeit hat bis heute keine Kenntnis genommen von dem, was Ihnen und Ihrer Begleiterin Sina Rubov widerfahren ist«, argumentierte sie. »Es gab damals nur kleine Meldungen in der örtlichen Presse. Hier in Nürnberg hat das Ganze niemand mitbekommen.«
»Ja, weil es keinen interessiert hat«, gab Gabriele schroff zurück. Sie griff energisch zur Kaffeekanne und goss sich ein, ohne ihrem Gast ebenfalls einen Kaffee anzubieten.
Cornelia Probst ging auf Gabriele zu und suchte den Augenkontakt: »Frau Doberstein, glauben Sie mir: Mich interessiert Ihre Geschichte. Und ich bin sicher, dass sich auch die meisten unserer Leser dafür begeistern werden.«
»Das bezweifele ich«, sagte Gabriele und setzte sich an einen schäbigen Holztisch, eine unverkäufliche Antiquität, die ihr als Unterlage in der Frühstückspause und während der Brotzeit diente. »Niemand hat uns vor einem Jahr unsere Story abgekauft. Warum sollte das plötzlich anders sein?«
Die Journalistin zog sich einen betagten Schemel heran und setzte sich Gabriele gegenüber. »Ich möchte dafür sorgen, dass endlich Ihre Version der Geschichte gedruckt wird. Unzensiert und ungekürzt. Erzählen Sie mir, wie es sich wirklich zugetragen hat!«
Gabriele stutzte. Die Hartnäckigkeit dieser Reporterin beeindruckte sie. Trotzdem hatte sie nach all den Ernüchterungen der zurückliegenden Monate keine besonders große Lust, die Peenemünder Geschehnisse noch einmal aufzukochen. Zu viel Tragik und Schmerz waren damit verbunden – und bis heute nagten an ihr die Erinnerungen an Stunden lähmender Angst. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.«
Cornelia Probst gab nicht auf: »Sie und Ihre Bekannte haben damals angegeben, dass sie in einem Bunker auf der Insel an der Ostsee auf eine alte Schaltzentrale der Nazis gestoßen waren. Von dort aus bestand noch immer eine Verbindung zu einer Rakete, die in den letzten Kriegstagen abgefeuert worden war und die seitdem in einer Erdumlaufbahn kreiste. Richtig?«
»So in etwa, ja«, antwortete Gabriele ausweichend.
»Unbekannte hatten die Zentrale mit zeitgemäßer Technik zu neuem Leben erweckt und Kontakt zu dieser Rakete aufgenommen. Ebenfalls korrekt?«
»Mmm.« Gabriele deutete ein Nicken an.
Die Journalistin machte sich Notizen, bevor sie anschloss: »Die alte Nazi-Rakete sollte offenbar für eine groß angelegte Erpressung eingesetzt werden. Doch ehe es zum Schlimmsten kommen konnte, kollidierte das Geschoss mit einem erdorbitalen TV-Satelliten. Damit wurde eine Katastrophe verhindert, Sie und Ihre Freundin jedoch beinahe von den Fremden getötet. Entspricht das ebenfalls den Fakten?«
»Fakten, Fakten!« Gabriele schob ihre Kaffeetasse beiseite. »Wenn Sie die Ost-Polizisten fragen, die den Fall untersucht haben, werden Sie hören, dass alles nur Ausbund unserer Fantasie ist. Gesponnen in den verqueren Hirnen von zwei verschrobenen West-Frauen.«
»Ich frage aber Sie.«
»Mich? – Nun gut. Dann sage ich Ihnen, dass ich inzwischen selbst Zweifel daran habe, ob wir das damals alles richtig interpretiert und gedeutet haben«, antwortete Gabriele grimmig. »Immerhin standen wir unter einem enormen Druck – unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Da geht einem schon mal der Bezug zur Realität verloren.«
Cornelie Probst sah nachdenklich von ihrem Schreibblock auf. »Nein, ich glaube nicht. Ich bin überzeugt davon, dass Sie alles, woran Sie glauben, sich zu erinnern, auch tatsächlich erlebt haben.«
»Was macht Sie da so sicher?«, wollte Gabriele wissen. »Ich meine – eine Nazi-Rakete, die bis in die 90er-Jahre überlebt hat, ist ja allein schon unwahrscheinlich. Aber dann auch noch die Kollision mit dem Satelliten und unsere wundersame Rettung … – Nein, ich glaube mittlerweile selbst Tag für Tag weniger daran. Wir haben uns von unseren Ängsten leiten lassen und die falschen Schlüsse gezogen.«
»Sagen Sie das nicht«, beharrte die Journalistin. »Es mag sein, dass Ihre Satelliten-Theorie nicht zutrifft. Denn niemand wird dies mit letzter Gewissheit feststellen können. Es gibt keine Spuren mehr, die man untersuchen könnte.
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