Beinssen, Jan
miesen Charakter nachdenken.
Als könnte Sina ihre Gelüste nach Revanche erahnen, fragte sie: »Wie lange er wohl noch in Untersuchungshaft bleiben muss?«
Bei dem Wort ›Haft‹ fühlte sich Diehl angesprochen. Kauend antwortete er: »Das kommt ganz darauf an, wie der Untersuchungsrichter befindet. Es gibt Hinweise, die nahelegen, dass Ihr Bekannter
Klaus mit den Tatverdächtigen gemeinsame Sache gemacht hat. Demgegenüber steht seine eigene Aussage, nach der er sich nur zum Schein mit der Bande eingelassen hatte, um Sie zu schützen und im entscheidenden Moment Hilfe zu holen.«
Gabriele verschluckte sich an ihrem letzten Happen und hustete heftig, bevor sie einwandte: »Das war eine faule Ausrede! Oder hat er Sie etwa wirklich angerufen?«
Diehl neigte den Kopf: »Das hat er nicht. Denn wir waren ohnehin längst in Stellung. Ich habe Sie und Ihre Freundin seit unserem letzten Gespräch rund um die Uhr beschatten lassen …«
»Wie heimtückisch«, meinte Gabriele eher verschmitzt als vorwurfsvoll.
Diehl quittierte das mit souveränem Lächeln. »Es geschah nur zu Ihrem eigenen Besten, wie sich herausstellte.«
»Ja, aber vielleicht hätte Klaus ja doch noch die Polizei verständigt, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte«, warf Sina ein, glaubte jedoch selbst nicht mehr daran.
Diehl bemühte sich um einen einfühlsamen Ton: »Liebe Frau Rubov, ich kenne meine Klientel nach all den Dienstjahren recht gut. Glauben Sie mir: Ich weiß, wann jemand lügt und wann er die Wahrheit sagt. Ihr Bekannter, der Klaus …«
Sina hob die Hand. »Sagen Sie es bitte nicht. Lassen Sie mir einen letzten Funken Hoffnung. Selbst wenn es bloß eine Illusion ist.«
»Träumerin«, schalt sie Gabriele. Dann wechselte sie das Thema und fragte: »Was geschieht mit all dem schönen Gold?«
Diehl wandte sich seinem Essen zu und erklärte eher beiläufig: »Das ist nun Sache der zuständigen Behörden. Die Oberfinanzdirektion ist dran, und auch der Zoll hat sich gemeldet.« Er gönnte sich eine weitere Gabel mit Gnocchi in Gorgonzolasoße. »Damit können sich die Bürohengste herumplagen. Das geht mich nichts an und kümmert mich auch nicht«, meinte er leicht abfällig. »Einzig interessant ist aus meiner Sicht die Spur in die Staaten.«
»In die Staaten?« Gabriele wurde hellhörig. »Sie meinen die USA?«
Diehl nickte kauend und schluckte herunter, bevor er antwortete. »Ja, der Goldtransfer lief über Mittelsmänner ab, die von Amerika aus agierten. Da beneide ich meine Kollegen von der Wirtschaftskriminalität nicht, denn die Amis lassen sich nicht gern in die Karten schauen. Zumal die Spur Gerüchten zufolge bis in präsidiale Kreise führt …«
»Was?« Gabriele war baff. »Reden wir hier etwa vom Weißen Haus?«
Diehl verzog das Gesicht. »So weit würde ich nicht gehen. Aber die Sache wird von den zuständigen Kollegen ziemlich hoch aufgehängt.«
Sina konnte kaum folgen: »Ergibt das denn einen Sinn? Ich dachte, die Alte und ihre Söldnertruppe hätte gegen die Amis gearbeitet und nicht für sie!«
Diehl zuckte die Schultern, worauf Gabriele eine
neue Frage vorbrachte: »Apropos die Alte. Wer war sie eigentlich? Konnte man ihre wahre Identität inzwischen feststellen?«
»Ja, aber es war nicht leicht«, antwortete Diehl. »Die ganze Organisation bestand aus einem bunt gemischten Haufen Krimineller. NHA-Geschäftsführer Oliver Kern, der im wahren Leben Jochen Hufnagel heißt, hatte bereits mehrere Jahre wegen Unterschlagungen und diversen Betrügereien gesessen. Di Lorenzo, dem Italiener, wurden Verbindungen zur sizilianischen Mafia nachgesagt. Bei dem Iren, der uns während des Zugriffs leider durch einen versteckten zweiten Ausgang entkommen und damit durch die Lappen gegangen ist, handelt es sich der Beschreibung nach um einen mit internationalem Haftbefehl gesuchten mehrfachen Mörder, der für seine große Brutalität und Skrupellosigkeit bekannt ist. Er stammt übrigens tatsächlich von der grünen Insel. Schmidbauer fällt als Einziger aus der Reihe, denn gegen ihn lag bis dato nichts vor. Wir untersuchen seine Rolle noch. Möglicherweise wurde er zu seinen Botengängen durch Erpressung gezwungen.« Diehl setzte ein zufriedenes Lächeln auf, als er weitersprach. »Darauf, dass wir den vermeintlichen Kopf der Bande erwischt haben, bin ich besonders stolz. Die Alte, wie Sie sie nennen, trug den schönen Namen Irina Gaidar. Sie bekleidete bis in die späten 80er-Jahre hinein einen hohen Rang bei der
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