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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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Er drückte mich sanft zurück, als ich Anstalten machte, aufzustehen. »Mach den Mund auf.«
    Und schon hatte ich eine seiner Sonden im Mund. Mit der anderen Hand führte er den kleinen Spiegel hinter meinen Zahnreihen vorbei. »Wunderbar. Herrlich. Du hattest von allen Frauen schon immer die prachtvollsten Zähne.«
    »Hngh«, nuschelte ich an den Metallgeräten vorbei.
    »Sollen wir gleich das bisschen Zahnstein wegmachen?«, erkundigte er sich. »Katja!«, rief er über die Schulter nach draußen.
    Aha. Sonja-Anja-Tanja hieß also Katja. So weit daneben hatte ich gar nicht gelegen. Ich beschloss, es mir zu merken. Für den Fall, dass ich nochmals herkommen müsste, ein Fall, der, wie ich inständig hoffte, so schnell nicht wieder eintreten würde.
    Ich schob seine Hände zur Seite und richtete mich auf. »Ich will mir nicht den Zahnstein wegmachen lassen, ich will …«
    »Warte!«, rief er entgeistert aus.
    »Was ist los?«
    »Klapp mal langsam den Mund auf und zu!«
    Verblüfft gehorchte ich.
    »O Gott!« Rainer zuckte erschüttert zurück.
    Ich runzelte die Stirn. »Habe ich Mundgeruch oder was?«
    Er hob den Finger. »Hörst du das nicht?«
    Ich lauschte mit schräg gelegtem Kopf. Hatte Katja doch hyperventiliert? Nahm sie sich etwa gerade in diesem Augenblick gegenüber dem betörend schönen Martin Münchhausen Freiheiten heraus, die man bis hierher hören konnte? Nein, bis auf das ewig gleiche Klassikgedudel, mit dem Rainer seine Patienten fortwährend beschallte, war nicht der kleinste Laut zu vernehmen.
    »Mach es noch mal«, verlangte Rainer, die Brauen bis zum rötlichen Haaransatz hochgezogen.
    Ich starrte ihn verständnislos an. »Was denn, zum Teufel?«
    »Den Mund auf und zu.«
    »Wozu soll das gut sein?«
    »Tu es einfach. Ganz langsam. Mehrmals. Und hör dir an, was dabei passiert.«
    Ich öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Dann wiederholte ich das Ganze nach seiner Anleitung, bis ich es leid war. »Zufrieden?«
    »Du liebe Zeit, Lu, dein Kiefer knackt wie ein Luftgewehr!«
    Ich war beleidigt. »Du übertreibst mal wieder maßlos. Wen stört schon das bisschen Knacken! Es tut doch überhaupt nicht weh!«
    »Das wird es aber bald«, äußerte Rainer mit Grabesstimme.
    »Wieso?«
    »Weil dieses Knacken, meine liebe Lu, der hörbare Beweis dafür ist, dass sich der Diskus aus deinem Kiefergelenk verabschiedet. Und zwar beidseitig. Wann hat das angefangen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wann warst du das letzte Mal beim Zahnarzt?«
    »Das weißt du doch«, sagte ich ärgerlich.
    Er besaß den Anstand, rot zu werden, doch dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Ich habe mich beim letzten Mal nur mit dir unterhalten. In den Mund habe ich dir nicht geschaut. Erinnerst du dich? Du hast es mir verboten.«
    Damit hatte er recht. Bei meinem letzten Unterhaltsvollstreckungsbesuch war ich über die Maßen sauer gewesen, nicht nur, weil ich mal wieder völlig blank gewesen war, sondern weil ich gerade mitten im Examen gesteckt hatte.
    »Hast du die Aufbissschiene machen lassen, die ich dir vorletztes Jahr empfohlen habe?«
    Ich schüttelte verdrossen den Kopf.
    »Du hast einen Zwangsbiss entwickelt«, tadelte er mich. »Und außerdem leidest du unter Bruxismus.«
    Ich musterte ihn misstrauisch. Irgendwie war es ihm wieder mal gelungen, vom zentralen Thema abzulenken. »Ich putze mir dreimal täglich die Zähne. Außerdem benutze ich Zahnseide und eine Munddusche. Erzähl mir bloß nicht, dass ich meine Zähne nicht richtig pflege! Du hast eben noch selber gesagt, wie toll sie sind!«
    Er warf die Hände in die Luft. »Lu, das, was ich meine, bekommst du mit Putzen nicht weg! Unter Bruxismus versteht man die übermäßige Abnutzung der Zähne durch exzessives Knirschen.«
    »Ich knirsche nicht«, widersprach ich. »Und schon gar nicht exzessiv.«
    »Tust du doch. Und zwar nachts. Du knirschst wahrscheinlich so laut, dass die Wände wackeln. Hat dir das noch niemand gesagt?«
    Ich ersparte es mir, darauf zu antworten. In meinem Bett hatte seit der Scheidung niemand gelegen außer mir und meinem Vibrator, und der gab bis auf ein gelegentliches Brummen keine Verlautbarungen von sich.
    »Das musst du behandeln lassen«, meinte Rainer warnend, »sonst kriegst du echte Probleme. Dein Unterkiefer hat sich bedrohlich weit nach hinten verlagert.«
    »Was für Probleme meinst du denn?«, fragte ich kleinlaut.
    Er wurde ernst. »Ich hatte erst letzte Woche hier einen Fall von Kieferklemme. Ganz, ganz schlimme Sache.

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