Bel Ami (German Edition)
oder einem Vorhang waren, hielt sie ihm die Lippen zum Kusse hin. Doch er fand viel mehr Vergnügen daran, mit Suzanne zu spielen, über deren witzige Einfälle er oft lachen mußte. In ihrem Puppenkörper lebte ein witziger, spöttischer Geist, der stets unverhofft hervorbrach, wie eine Marionette auf dem Jahrmarkt. Sie machte sich über alle Welt in der schärfsten und geistreichsten Weise lustig. Georges reizte sie an, stachelte ihre Ironie auf und sie verstanden sich vortrefflich.
Alle Augenblicke rief sie ihn:
»Hören Sie mal, Bel-Ami! — Kommen Sie mal her, Bel-Ami!« Er ließ sofort die Mutter im Stich und eilte zu der Tochter. Sie flüsterte ihm irgendeine Bosheit ins Ohr, über die sie dann beide herzlich lachten.
Inzwischen war er der Liebe der Mutter so überdrüssig geworden, daß er bald einen unüberwindlichen Widerwillen gegen sie empfand. Er konnte sie nicht mehr sehen, noch hören, noch an sie denken, ohne wütend zu werden. Er besuchte sie daher nicht mehr und ließ ihre Briefe und ihre Bitten unbeantwortet.
Endlich begriff sie, daß er sie nicht mehr liebte und begann darunter furchtbar zu leiden. Doch sie ließ nicht von ihm ab, spürte ihm nach, verfolgte ihn, lauerte auf ihn in einer Droschke mit heruntergezogenen Vorhängen am Eingang der Redaktion; vor seiner Haustür und in den Straßen, wo sie ihm zu begegnen hoffte.
Er hatte Lust, sie zu mißhandeln, zu beschimpfen, sie zu verprügeln und ihr einfach ins Gesicht zu schleudern: »Ich habe genug, ich bin Ihrer satt!«
Aber im Hinblick auf die Vie Française mußte er auf sie doch einige Rücksichten nehmen und so versuchte er durch Kälte und durch etwas gemilderte Härte und manchmal sogar durch heftige Worte ihr beizubringen, daß man endlich alledem ein Ende bereiten müßte.
Sie erfand alle möglichen Listen und Vorwände, um sich mit ihm in der Rue Constantinople zu treffen, und er lebte unaufhörlich in der Furcht, daß die beiden Frauen eines Tages an der Tür aufeinanderstoßen würden.
Seine Neigung zu Madame de Marelle war aber im Gegenteil im Laufe des Sommers noch stärker geworden. Er nannte sie »Mein Bübchen«, und sie gefiel ihm ganz entschieden. Sie hatten sehr viel Ähnliches in ihrem inneren Wesen und paßten sehr gut zueinander. Sie waren beide im Grunde Abenteurer, sie waren Nomaden des großen städtischen Lebens, die, ohne es zu ahnen, den Zigeunern der Landstraße so sehr ähnelten.
Sie hatten einen herrlichen Liebessommer verlebt, wie ein junges, verliebtes Studentenpaar, das Hochzeit machte. Sie fuhren zum Frühstück nach Argenteuil, nach Bougival, nach Maisons und Poissy heraus und blieben stundenlang im Boot, um an den Ufern entlang Blumen zu pflücken. Sie liebte sehr gebackene Seinefische, Kaninchen und Fischfrikassee, sie schwärmte für die Lauben in den kleinen Kneipen und für das Geschrei der Ruderer. Es machte ihm Spaß, mit ihr an einem heiteren Sommertage auf dem Verdeck eines Vorortzuges hinauszufahren und mit heiterem Lachen und Scherzen die häßlichen Felder um Paris zu durchqueren, auf denen die scheußlichen Villen der Spießbürger wie Pilze aus der Erde schießen.
Und als er wieder zurück mußte, um bei Frau Walter zu essen, da haßte er die alte zähe Geliebte und dachte an die junge, die er eben verlassen hatte und die auf den schönen grünen Flußufern seine Begierde gestillt und seine Leidenschaft befriedigt hatte.
Er fühlte sich nun endlich von der Frau seines Chefs etwas befreit, denn er hatte, als er ihr Telegramm erhielt, in dem sie ihn zu einem Rendezvous um zwei Uhr in die Rue Constantinople bestellte, ihr ziemlich unumwunden und mit brutalen Ausdrücken seinen Entschluß klargelegt, mit ihr zu brechen.
Er las es im Gehen noch einmal durch: »Ich muß Dich unbedingt sprechen. Es ist etwas sehr Wichtiges. Erwarte mich um zwei Uhr in der Rue Constantinople. Ich kann Dir einen großen Dienst erweisen. Deine Freundin bis zum Tode. — Virginie.«
Er dachte: »Was will sie noch von mir, die alte Gans? Ich wette, sie hat mir gar nichts mitzuteilen. Sie wird mir nur noch einmal wiederholen, daß sie mich über alles liebt. Na, wir werden ja sehen. Sie spricht von einer sehr wichtigen Sache, von einem großen Dienst, es kann vielleicht doch wahr sein. Und Clotilde kommt um vier. Ich muß die erste spätestens um drei los werden. O Gott! Daß sie sich nur nicht begegnen! Oh, diese Weiber!«
Und er überlegte sich, daß seine Frau die einzige war, die ihm immer seine Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher