Bel Ami (German Edition)
hätte er zuweilen doch gern eine andere Persönlichkeit gesehen. Denn hier wurden die Neuigkeiten lanciert, die Gerüchte in Umlauf gesetzt, durch die man auf das Publikum und auf die Kurse einwirkte. Zwischen zwei Berichten über Gesellschaftsabende muß man die wichtigen Nachrichten unauffällig einschieben und sie mehr andeuten als aussprechen. Zwischen den Zeilen muß man erraten lassen, was man eigentlich will, da muß man eine Neuigkeit so zu dementieren wissen, daß man sie erst recht glaubt, und etwas so bestätigen, daß jeder zu zweifeln beginnt. In den Lokalnachrichten muß jeder Tag für Tag wenigstens eine Zeile finden, die ihn interessiert, damit jedermann sie liest. Man muß dabei an alle und an alles denken, an alle Gesellschaftskreise und an alle Berufe, an Paris und an die Provinz, an die Armee und an die Maler, an die Geistlichkeit und an die Universität, an die Beamten und die Halbweltdamen.
Der Mann, der an der Spitze des Nachrichtenteils steht und das Heer der Reporter dirigiert, muß stets auf dem Posten sein, mißtrauisch, vorausschauend, verschlagen, vorsichtig und gewandt sein, er muß den richtigen Instinkt haben, mit einer unfehlbaren Witterung begabt sein, um die falsche Nachricht auf den ersten Blick zu erkennen, um zu beurteilen, was gesagt und was verschwiegen werden muß, um sofort zu begreifen, was auf das Publikum wirken wird, und es dann so vorzubringen, daß die Wirkung vervielfältigt wird. Boisrenard besaß zwar eine lange Praxis, aber es fehlte ihm an Übersicht und Talent. Vor allen Dingen ließ er die angeborene Spitzfindigkeit vermissen, um tagaus, tagein die neuen Gedanken des Chefs zu wittern.
Duroy wußte die Sache glänzend zu meistern, er war eine hervorragende Errungenschaft der Redaktion dieses Blattes, das nach dem Ausdrucke Norbert de Varennes »auf den Strömungen des Staates und auf den Unterströmungen der Politik schwamm«.
Die geistigen Leiter und die eigentlichen Redakteure der Vie Francaise waren ein halbes Dutzend Deputierte, die an allen Spekulationen des Direktors interessiert waren. Man nannte sie in der Kammer die »Walter-Clique«, und beneidete sie, weil sie mit ihm und durch ihn offenbar viel Geld verdienten. Forestier war als politischer Redakteur nur der Strohmann dieser Geschäftsleute, der Vollstrecker der von ihnen eingeflößten Ideen. Sie soufflierten ihm seine großen Artikel, die er immer zu Hause schrieb, »um Ruhe zu haben«, wie er sagte.
Um dem Blatt jedoch einen literarischen und gesellschaftlichen, pariserischen Anstrich zu geben, hatte man ihm zwei berühmte Schriftsteller verschiedener Art und verschiedenen Charakters zur Seite gestellt: Jaques Rival, der aktuelle Plaudereien schrieb, und Norbert de Varenne, den Dichter der neuen Schule und phantasievollen Erzählungskünstler. Dann hatte man aus der großen Schar der »Journalisten für alles« um billiges Geld noch ein paar Kritiker für Kunst, Malerei, Musik und Bühne engagiert und außerdem einen Redakteur für Gerichtsverhandlungen und einen für Rennsport. Zwei Damen der Gesellschaft schickten unter dem Pseudonym »Rosa Domino« und »Samtpfötchen« ihre Berichte aus der vornehmen Welt in die Redaktion; sie behandelten Fragen der Mode und der Etikette und brachten allerlei Indiskretionen über bekannte Damen.
Und so schwamm die Vie Française »auf den Strömungen und Unterströmungen« der Politik und der Börse, gelenkt und geleitet von allen diesen verschiedenen Händen und Köpfen.
Duroy befand sich gerade auf dem Höhepunkt seiner Freude über seine Ernennung, als er eine Einladungskarte erhielt, auf der stand: »Herr und Frau Walter bitten Herrn Georges Duroy, ihnen die Ehre zu erweisen, am Donnerstag, den 20. Januar, bei ihnen zu speisen.«
Diese neue Gunst, die mit der anderen so hübsch zusammentraf, erfüllte ihn mit solcher Freude, daß er die Einladung küßte, als wäre sie ein Liebesbrief gewesen. Dann begab er sich zum Kassierer, um die wichtige Gehaltsfrage zu besprechen.
Der Nachrichtenredakteur erhielt im allgemeinen monatlich eine bestimmte Summe, von der er seine Reporter und ihre mehr oder weniger wichtigen Nachrichten zu honorieren hatte.
Für Duroy waren zunächst zwölfhundert Francs monatlich ausgesetzt, und er nahm sich vor, davon einen guten Teil für sich zu behalten.
Auf seine dringenden Vorstellungen hatte der Kassierer ihm endlich vierhundert Francs Vorschuß gegeben. Zuerst hegte Duroy tatsächlich die Absicht, an Madame de Marelle
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