Die gläserne Gruft
Sawisch bewegte sich nicht. Er merkte nur, dass es von seinem Nacken herab kalt nach unten lief. Da er sich schon zuvor auf eine Wiederholung konzentriert hatte, kam er zu dem Schluss, dass dieser Laut nichts mit dem Einschlagen einer Fensterscheibe zu tun hatte, denn das hörte sich anders an.
Er überlegte noch, wie er es einstufen sollte. Nicht nur ein Klirren, sondern auch ein Klingeln. So etwas entstand auch, wenn die gläsernen Tropfen an einem Kronleuchter durch einen Windstoß gegeneinander schlugen.
Doch der hing nicht hier in der Luft dieser kalten Februarnacht mit dem hohen klaren Himmel, an dem der blassgelbe Halbmond wie eine leicht gekippte Gondel stand.
Das Geräusch – da war er sich sicher – hatte ihn auch nicht von vorn erreicht. Es musste hinter ihm erklungen sein. Genau dort befand sich das Gebiet, das er bewachen sollte.
Man wollte den Neumarkt anders gestalten und in der Tiefe eine Garage bauen. Das klappte jetzt nicht mehr, denn bei den Ausgrabungen war man auf ein archäologisches Wunder gestoßen. Auf einen alten Friedhof mit zahlreichen besonderen Gräbern, in denen noch die alten und sehr kostbaren Grabbeigaben zu finden waren.
Die Archäologen und Historiker hatten gejubelt, die Investoren dumm aus der Wäsche geschaut. Die Tiefgarage konnte zunächst mal vergessen werden, das Gebiet gehörte den Wissenschaftlern und auch den Grabräubern, wie man meinte.
Aus diesem Grund war in der Nacht für eine Bewachung gesorgt worden. Zu diesem Team gehörte auch Sawisch, der jetzt, als er sich drehte, auf seine Uhr blickte.
Zwei Uhr am Morgen!
Eine Zeit, in der die Stadt schlief. Besonders im Winter. Pitt schaute auch nicht mehr gegen die Fassade des Hilton-Hotels, deren Fenster fast alle im Dunkeln lagen, er sah jetzt auf den Zaun aus Metall, der gitterartig das Gelände umschloss.
Die einzelnen Lücken waren so groß wie Ziegelsteine. Es gelang dem Betrachter durchaus ein guter Blick in die Tiefe und hinein in das Gräberfeld.
Hatte es ein Dieb geschafft und war dort eingestiegen?
Sawisch musste damit rechnen. Er und sein Kollege Müller konnten nicht überall sein. Wenn jemand genügend Geduld hatte, dann schaffte er es auch. Eigentlich hätte das Gelände viel besser bewacht werden müssen, aber es fehlte mal wieder das Geld.
Nichts Verdächtiges war zu sehen. Sawisch ließ sich ungefähr eine Minute Zeit, um das dunkle Gelände zu beobachten. So sehr er sich auch anstrengte, er bekam nichts Verdächtiges zu Gesicht.
Trotzdem war er nicht beruhigt. Die Falten auf seiner Stirn deuteten an, dass er nachdachte. Er gehörte nicht zu den lockeren Typen, die alles recht oberflächlich sahen. Pitt wollte bestimmten Dingen schon auf den Grund gehen. Bei seiner Firma galt er als sehr verlässlich, und er versuchte, Fehler zu vermeiden.
Dieses Klingeln beunruhigte ihn, auch wenn er es in den letzten zwei Minuten nicht gehört hatte. Er wollte auf Nummer Sicher gehen und holte sein schmales Walkie-talkie hervor. Über das Gerät wollte er Verbindung mit seinem Kollegen Müller aufnehmen, der auf der anderen Seite des Geländes wachte.
Pitt drückte einen Knopf und hielt das Walkie-talkie dicht vor seine Lippen. Er wartete einige Sekunden ab, dann hörte er Ecki Müllers Stimme.
»Ich bin es, Pitt.«
»Dachte ich mir.« Ecki lachte.
Pitt war nicht nach Lachen zumute. Er kam sofort auf sein Problem zu sprechen und berichtete von dem seltsamen Geräusch, das er gehört hatte.
»Ach? Wirklich? Und jetzt willst du von mir wissen, ob ich es auch gehört habe?«
»Genau.«
»Nein.«
»Denk nach!«
Müller stöhnte auf. »Wenn ich nein gesagt habe, dann habe ich nein gesagt. Es wäre mir aufgefallen, Pitt. Das weißt du selbst. Aber ich habe hier nichts gehört. Still ruht der See. Es tut mir Leid, ich hätte auch gern mehr Action gehabt, doch dem ist nicht so. So kann man sich weiterhin den Arsch abfrieren.«
Sawisch blieb am Ball. »Und du hast auch nichts Verdächtiges in deiner Umgebung gesehen?«
»Was sollte ich denn gesehen haben?«
»Naja, irgendeine Gestalt, die sich dort herumgetrieben hat. Wäre ja möglich gewesen.«
»Ist es aber nicht.«
»Gut, dann halte wenigstens die Ohren weit auf.«
»Das mache ich immer.«
Davon war Sawisch nicht überzeugt. Ecki Müller war ein jüngerer Kollege, der die Dinge des Lebens lockerer nahm. Er war kein schlechter Kerl, aber in diesem Job gehörte er zu den Menschen, die lieber Personenbewachung machten als in der Nacht Wache zu
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