Bel Canto (German Edition)
assoziierend und fragmentierend zunächst die Motive der Bilder und des eigenen Gedächtnisses sammelt, und dann doch entscheidet, alles in einem einzigen abgeschlossenen Text zusammenzufassen. Aus heutiger Sicht überrascht an dem Text das ziemlich detaillierte Projekt und der Plan des Schriftstellers (sie unterstrich das Maskulinum dieses Substantivs), was er mit seinem Werk erreichen will.
1937 gibt sie, wieder im Eigenverlag, den Roman Amor a Psyche [ Amor und Psyche ] heraus, scheinbar eine parodistische Variation des Studentenromans: ein Backfisch, ein in seine Professorin verliebtes Mädchen, wird mit einer die Oberflächlichkeit des ehemaligen Idols ironisch beurteilenden Schriftstellerin konfrontiert. Das bildet denAuftakt zur Entstehung eines »Romans im Roman«, der sich dann vor den Lesern im dritten Teil auftut. In diesem Text wird zum ersten Mal das Thema vom immer erneuten Finden des Bildes vom »ersten« Augenblick folgerichtig entwickelt, das möglicherweise für unser Dasein oder unsere Erfahrung entscheidend ist, und das von verschiedenen Zeit- und Stilebenen aus betrachtet werden kann.
Diese Methode entwickelt aus stark unterschiedlicher Perspektive auch der Doppelroman Odkaz/Zakladatelé [ Das Vermächtnis/Die Begründer ] in Bildern vom Entstehen, Aufstieg, Höhenflug und von der Vorahnung des Niedergangs der tschechischen bürgerlichen Gesellschaft weiter. Die klassischen epischen Textmerkmale sind freilich fern von äußerer Beschreibung bloßer sozialer Beziehungen. Der Erzähler betrachtet die Ereignisse vom sich ständig verändernden Standpunkt der inneren und äußeren Figurenwelt und zieht die Wahrheit jedes Augenblicks, jeder Situation, jedes Ereignisses oft ironisch in Zweifel.
In der Zeit, als wahrscheinlich auch der Doppelroman entstand, gegen Ende der dreißiger Jahre, als sie sich gemeinsam mit ihrem Mann, dem Maler Zdeněk Rykr im Kreis der von Henry Miller und Anaïs Nin herausgegebenen Pariser Zeitschrift The Booster (in der Auszüge aus ihrer Prosa erscheinen, die Weihnachtsnummer des Jahres 1939 ist ihr gewidmet) bewegte, gibt sie zwei von Rykr illustrierte und auch ausgestattete umfangreiche dichterische Texte heraus.
Kaladý, aneb útočiště řeci [ Kaladý oder Die Zuflucht der Sprache ] ist eine Apotheose des Ortes und seiner Gestalt in der Sprache, gleichzeitig auch unmittelbare Reaktion auf die Herbstereignisse 1938.
Die umfangreiche Dichtung Mluvící pásmo [ Die sprechende Zone ] ist ein Höhepunkt der tschechischen Poesie des 20. Jahrhunderts, vor allem aber ist sie ein Versuch, die Ursachen der großen Geisteskrise des Jahrhunderts der Vernunft bloßzulegen, die den Menschen an die Grenzen des eigenen Untergangs geführt hat. (Das Buch wurde zum Zeitpunkt von Rykrs verzweifeltem Selbstmord vor der nahenden Verhaftung beendet.)
Die Beziehung der Orte, der Erinnerungen und unserer Fantasie, resp. Imagination, ist nicht nur Thema in den Erzählungsvarianten von Škola povídek (1943) [ Die Schule der Erzählungen ], sondern vor allem im Roman Neznámý člověk [ Der unbekannte Mensch ] – wo die Suche nach unseren Erinnerungsbildern an Schlüsselmomenten der modernen Geschichte (vom Preußisch-österreichischen Krieg 1866 bis zum Philosophenkongress in Prag 1936) aus der Perspektive eines »unbekannten« Beobachters und dem Kontext seiner täglichen Lebenswelt, verfolgt wird (auf deutsch erschienen in der Tschechischen Bibliothek, München, DVA 1999).
Die Kriegsjahre nach Rykrs Tod sind intensives Schaffen. Neben Theaterarbeiten, besagten Erzählungsbänden und Romanen, entsteht nicht nur Bel canto (vielleicht das erfolgreichste Buch der Autorin), sondern auch eine erste Gedichtsammlung Žlutý soumrak [ Gelbe Dämmerung ], Liebesgedichte, der Romanessay Hlava umělce [ Der Kopf des Künstlers ] (allerdings erst 1947 erschienen) und seine, erst kürzlich im handschriftlichen Nachlass entdeckte, offensichtlich lose Fortsetzung – ein Briefroman.
Die vierziger Jahre sind auch die Zeit der Annäherung an die Skupina 42 [Gruppe 42], eine Vereinigung vonDichtern und Bildenden Künstlern, die sich vor allem für das Phänomen Alltag und Großstadtperipherie interessierten und für die die Hinwendung zur Sprache der Alltäglichkeit und direkten dichterischen Benennung typisch war. Hier liegt wohl der Ursprung für die achtungsvolle Beziehung zu Jiří Kolář, darüber hinaus zur literarischen Revue Listy [ Blätter ], um die sich die Autoren nach dem Kriege
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