Belladonna
Führerschein hervor, den sie der verdutzten Lena Adams reichte.
«Sie atmet wieder», sagte Hare voller Erleichterung.
Sara wischt sich die Finger am Rock ab und wünschte sich, sie hätte Handschuhe angezogen, bevor sie der Frau die Finger in den Mund steckte.
Ellen kam im Laufschritt zum Wagen. Sie schob eine Krankentrage vor sich her. Ohne ein Wort zu sagen, trat sie an die Füße der Frau und wartete auf Saras Zeichen.
Sara zählte bis drei, und sie beide hoben die Frau hinüber auf die Trage. Sara hatte einen schlechten Geschmack im Mund, denn ein paar Sekunden lang sah sie anstelle der Frau sich selbst dort liegen. Benommenheit ergriff sie.
«Fertig», sagte Hare und schnallte die Frau auf die Liege.
Sara trabte neben der Trage her und hielt dabei die Hand der jungen Frau. Es dauerte endlos, bis sie wieder im Krankenhaus waren. Die Trage schien durch Klebstoff zu rollen, als sie in den ersten Notaufnahmeraum kamen. Bei jedem Ruck der Trage gab die Frau leise Schmerzenslaute von sich. Ganz kurz versetzte sich Sara in die Frau und konnte ihre Angst nachempfinden.
Zwölf Jahre war es her, dass Sara zum letzten Mal Notfallmedizin praktiziert hatte, und sie musste sich sehr auf das konzentrieren, was nun zu tun war. In Gedanken ging sie durch, was sie an ihrem ersten Tag in der Notaufnahme gelernt hatte. Als wolle sie Sara auf die Sprünge helfen, begann die Frau pfeifend zu atmen, zu keuchen und nach Luft zu schnappen. Als Erstes galt es jetzt, einen Weg für die Beatmung herzustellen.
«Gott», raunte Sara, als sie der Frau den Mund öffnete. Im hellen Licht des Untersuchungsraums konnte sie erkennen, dass man ihr die oberen Schneidezähne ausgeschlagen hatte. Das war allem Anschein nach höchstens ein paar Tage her. Wieder hatte Sara das Gefühl, innerlich zu erstarren. Sie versuchte, das Gefühl abzuschütteln. Sara musste diese Frau als Patientin betrachten, oder sie würden beide große Probleme bekommen.
Sekunden später hatte Sara die Frau intubiert. Sie war sehr vorsichtig mit dem Klebeband, um die Haut um den Mund nicht noch mehr zu verletzen. Als die Beatmungsmaschine ansprang, musste Sara gegen den Impuls ankämpfen, sich abzuwenden. Allein das Geräusch verursachte ihr fast schon Übelkeit.
«Hört sich gut an», berichtete Hare und reichte Sara das Stethoskop.
«Sara?», sagte Ellen. «Peripher find ich nichts.»
«Sie ist dehydriert», sagte Sara an, als sie versuchte, am anderen Arm der Frau eine Vene zu finden. «Wir sollten sowieso einen zentralen Zugang legen.» Sara streckte die Hand nach einer Kanüle aus.
«Ich hol ein Besteck», sagte Ellen und verließ den Raum.
Sara wandte sich wieder der jungen Frau auf der Trage zu. Bis auf die Stellen an ihren Händen und Füßen waren nirgends Quetschungen oder Schnittwunden zu erkennen. Ihre Haut war warm, was eine ganze Anzahl von Ursachen haben konnte. Sara wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen. Schon jetzt drängten sich ihr jedoch die Ähnlichkeiten zwischen Sibyl Adams und dieser Frau auf. Sie waren beide zierlich. Sie hatten beide dunkelbraunes Haar.
Sara sah sich die Pupillen der Frau an. «Erweitert», sagte sie, denn beim letzten Mal, als sie eine ähnliche Untersuchung vorgenommen hatte, war angeordnet gewesen, alle Befunde laut anzusagen. Sie atmete langsam aus und bemerkte zum ersten Mal, dass Hare und Lena ebenfalls im Raum waren.
«Wie heißt sie denn?», fragte Sara.
«Julia Matthews», wusste Lena. «Wir haben sie schon am College gesucht. Sie wird seit zwei Tagen vermisst.»
Hare warf einen Blick auf den Monitor. «Arterieller Sauerstoff fällt.»
Sara überprüfte die Beatmungsanlage. «Sättigung auf dreißig Prozent. Ein bisschen höher damit.»
«Was ist das für ein Geruch?», unterbrach Lena.
Sara roch am Körper der Frau. «Clorox?», fragte sie.
Lena roch nochmal. «Bleichmittel», bestätigte sie. Hare nickte ebenfalls.
Sorgfältig untersuchte Sara die Haut der Frau. Überall am Körper waren oberflächliche Kratzspuren zu erkennen. Und Sara bemerkte zum ersten Mal, dass die Schamhaare der Frau rasiert waren. Sie waren zudem so wenig nachgewachsen, dass Sara vermutete, es sei erst vor einem Tag oder so geschehen.
Sara sagte: «Man hat sie sauber geschrubbt.»
Sie roch am Mund der Frau, konnte aber nicht den strengen Geruch feststellen, der normalerweise entsteht, wenn man ein Bleichmittel geschluckt hat. Sara hatte zwar wunde Stellen in ihrem Rachen entdeckt, als sie die Frau intubierte, aber nichts
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