Beobachtet – Das Kellerzimmer Teil 2 (German Edition)
verreist war, gab es viele Dinge, an die Sebastian sich erst gewöhnen musste. Bei Oma und Opa hatte es ihm ganz gut gefallen. Zumindest gab es da immer leckeres Essen.
„ Mama! Ich bin wieder da! Mama?“
Sebastian schaute in der Küche und im Wohnzimmer, ging dann hoch zum Elternschlafzimmer. Ach, da war sie. Seine Mutter schlief – und das mit Schuhen und ohne Decke. Das sollte er mal machen. Traurig ging Sebastian zurück in die Küche, nahm sich einen tiefen Teller und füllte ihn randvoll mit Milch und Cornflakes. Darüber eine Extra-Portion Zucker. Keiner konnte meckern. Als Julia später aus der Schule kam, saß ihr kleiner Bruder im Wohnzimmer vorm Fernseher und aß Chips direkt aus der Tüte.
„Sebastian, spinnst du? Du krümelst alles voll! Wo ist denn Mama?“
„ Die schläft schon die ganze Zeit. Essen gibt es auch nicht. Ich hab mir Cornflakes gemacht und danach ein Nutella-Brot. Jetzt ess ich meinen Nachtisch. Kannst du mir was kochen, ich hab immer noch Hunger.“
Liebevoll streichelte Julia Sebastian übers Haar. Mit ihrer Mutter war einfach überhaupt nichts mehr anzufangen. Kaum, dass sie sich wieder um ihre Kinder kümmern sollte, legte sie sich am helllichten Tag ins Bett. Nicht zum ersten Mal sagte Julia sich, dass sie Papa verstehen konnte. Eine Frau, die noch nicht mal die einfachsten Dinge im Haushalt erledigte, konnte einen schon mal zur Weißglut bringen.
„Du machst jetzt erst mal die Glotze aus und setzt dich an deine Hausaufgaben. In einer Stunde koche ich uns was.“
„ Na gut“, brummelte Sebastian und trottete in sein Zimmer. Julia hatte keine Lust auf ihre eigenen Schulsachen und bereitete alles fürs Essen vor. Sie überlegte, ob sie für ihre Mutter mitkochen sollte und deckte für drei Personen. Als sie ausreichend Pfannkuchen gebacken hatte, rief sie die Treppe hoch, doch nur Sebastian kam angerannt.
„ Wo bleibt denn Mama? Geh noch mal hoch und weck sie bitte.“
„ Die schläft wie ein Stein, ich krieg sie nicht wach.“
„ Warst du eben bei ihr?“, fragte Julia.
„ Ja, ich hab die Tür aufgemacht und Mama gerufen. Aber sie ist einfach liegengeblieben.“
Das konnte doch nicht wahr sein! Wütend lief Julia nach oben und riss die Schlafzimmertür auf.
„Ich hab uns Pfannkuchen gemacht, Mama. Kommst du auch?“
Ihre Mutter lag merkwürdig verdreht auf dem Bett. Ohne Decke, dafür komplett angezogen. Sogar mit Schuhen! Langsam trat Julia näher und starrte mit offenem Mund auf Lisa, deren rechte Hand verkrampft am Nachttisch klammerte. Auf dem Nachttisch stand ein gutes Glas aus dem Wohnzimmer. Sonst tranken Julias Eltern nur aus diesen Gläsern, wenn Besuch da war.
„Mama! Mama, wach auf! Oh Gott! Sebastian! Bring mir sofort das Telefon!“, schrie Julia.
„ Sebastian, schnell, das Telefon!“ Julia wurde hysterisch. Sie lief ihrem Bruder entgegen, riss ihm den Hörer aus der Hand und wählte den Notruf.
„ Meine Mutter ist tot, Julia Suhrhoff hier, ich glaube meine Mutter ist tot, sie hat sich umgebracht und liegt auf dem Bett! Bitte kommen Sie ganz schnell!“
Julia schob ihren Bruder aus dem Schlafzimmer, schloss die Tür von innen und rüttelte an ihrer Mutter, rief immer wieder ihren Namen und weinte verzweifelt. Jetzt waren Sebastian und sie Halbwaisen. Der Vater im Knast und die Mutter sich selbst umgebracht – das konnte doch nicht wahr sein. Julia war sich nicht sicher, ob ihre Mutter noch atmete. In der einen Minute dachte sie, sie wäre tot, in der nächsten Minute glaubte sie Bewegungen zu sehen. Sebastian stand schluchzend an der angelehnten Tür.
„Geh weg, Schatz, gleich kommt ein Arzt! Geh zur Haustür und mach auf, wenn ein Krankenwagen kommt, bitte“, forderte Julia ihren Bruder unter Tränen auf. Sie wusste nicht, wie lange sie sich an ihrer Mama zu schaffen machte. Ihr den Finger in den Hals steckte, zaghaft auf die Wangen schlug und auf den Bauch drückte. Mama lebte, aber wie lange noch?
Endlich traf der Krankenwagen ein und die Polizei folgte kurze Zeit später. Julia und Sebastian schauten dabei zu, wie eine Ärztin und zwei Sanitäter an der Mutter rumhantierten und sie dann in den Rettungswagen brachten. Auf der Straße standen die Nachbarn und tuschelten. Julia schämte sich für ihre Familie. Ein Polizist rief die Großeltern an und die Kinder mussten schon wieder von zu Hause fort. Alles war wie im Film, fand Julia, nur schlimmer. Mama sah sogar als Fast-Tote noch wunderschön aus. Sie sah gar nicht aus wie die
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