Berg der Legenden
Trauerrede mit dem Versuch, die Zuneigung und Bewunderung der Menschen für die beiden Männer aus Birkenhead zu beschreiben, die am Tag des Aufstiegs die Vorstellungskraft der ganzen Welt gefesselt hatten.
»Wir werden niemals wissen«, fuhr er fort, »ob sie zusammen den Gipfel dieses bedeutenden Berges erreicht haben. Aber wer unter uns kann daran zweifeln, dass, mit dem Sieg in greifbarer Nähe, George Mallory weitergekämpft hätte, einerlei, wie groß die Aussicht auf Erfolg war, und dass der junge Sandy Irvine ihm bis ans Ende der Welt gefolgt wäre?«
Ruth Mallory, die in der ersten Reihe auf der anderen Seite des Mittelgangs saß, zweifelte nicht daran, dass ihr Mann nicht umgekehrt wäre, wenn auch nur die geringste Hoffnung bestanden hätte, seinen wildesten Traum zu verwirklichen. Genauso wenig Zweifel hatte Reverend Herbert Leigh Mallory, der neben seiner Schwiegertochter saß. Hugh Thackeray Turner, der auf der anderen Seite seiner Tochter saß, würde seine Ansicht mit ins Grab nehmen.
Who so beset him round with dismal stories
Die ihn bedrängen mit düst’ren Litanei’n,
Nachdem der Dekan von St. Paul’s den Segen gesprochen hatte und die Captains und Könige gegangen waren, stand Ruth allein an der Nordtür, schüttelte Freunden und Kondolierenden die Hand, von denen viele ihr erzählten, wie sehr ihr Leben durch diesen höflichen und beherzten Gentleman bereichert worden war.
Als sie George Finch erblickte, der sich in der Schlange eingereiht hatte, um mit ihr zu sprechen, lächelte sie. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte, und es sah aus, als trüge er diese Kleidung zum ersten Mal. Als er ihr die Hand schüttelte, verbeugte er sich. Ruth lehnte sich vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Wenn Sie mit George gegangen wären, wäre er heute vielleicht noch am Leben.«
Finch behielt seine langgehegte Meinung für sich, dass, wenn er zu der Expedition eingeladen worden wäre, er und Mallory den Gipfel ganz gewiss erreicht hätten und, was noch wichtiger war, wohlbehalten zurückgekehrt wären. Obwohl Finch annahm, dass Mallory, wenn sie in Schwierigkeiten gesteckt hätten, seinen Rat möglicherweise ignoriert und weitergegangen wäre, so dass er allein zurückgekehrt wäre.
Do but themselves confound, his strength the more is
Verdammt sind sie! Seine Kraft, sie wächst.
Schließlich hatte Ruths Vater das Gefühl, es sei an der Zeit, seine Tochter nach Hause zu bringen, ungeachtet der Tatsache, dass ihr noch so viele Trauergäste Respekt zollen wollten.
Auf der Fahrt zurück nach Godalming fiel kaum ein Wort zwischen ihnen. Doch schließlich hatte Ruth den einzigen Mann verloren, den sie je geliebt hatte, und alte Gentlemen rechnen nicht damit, an der Trauerfeier für ihre Schwiegersöhne teilzunehmen. Als sie durch das Tor von The Holt fuhren, dankte Ruth ihrem Vater für seine Freundlichkeit und sein Verständnis, bat ihn aber, sie in ihrer Trauer allein zu lassen. Widerwillig verabschiedete er sich und kehrte nach Westbrook zurück.
No foes shall stay his might, though he with giants fight
Kein Feind ist mächt’ger, denn er mit Riesen sich misst.
Als Ruth die Vordertür öffnete, fiel ihr Blick als Erstes auf den Briefumschlag auf der Fußmatte. Er war mit Georges unverwechselbarer Handschrift an sie adressiert. Sie hob ihn auf, schmerzlich bewusst, dass dies sein letzter Brief sein musste. Sie ging hinüber in den Salon und schenkte sich das ein, was George einen »starken Whisky« genannt hatte, ehe sie sich auf ihren Platz im Lehnsessel am Fenster setzte. Sie schaute zur Auffahrt, rechnete auf gewisse Weise immer noch damit, George würde durch das Tor schreiten und sie in die Arme schließen.
He will make good his right to be a pilgrim
Und findet Glück im Recht, ein Pilger zu sein.
Ruth riss den Umschlag auf, zog den Brief heraus und begann, die letzten Zeilen ihres Mannes zu lesen.
7. Juni 1924
Meine Geliebte,
ich sitze in einem winzigen Zelt 8220 Meter über dem Meeresspiegel und fast 5000 Meilen von zu Hause entfernt, auf der Suche nach den Wegen des Ruhmes. Selbst, wenn es mir gelänge, sie zu finden, gälte es nichts, wenn ich diesen Moment nicht mit Dir teilen könnte.
Ich hätte nicht um die halbe Welt zu reisen brauchen, um zu entdecken, dass ich ohne Dich nichts bin, wie mir die neidvollen Blicke vieler weniger glücklicher Männer oft ins Gedächtnis gerufen haben, und dabei wissen sie nicht einmal die Hälfte. Frag
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