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Berge Meere und Giganten (German Edition)

Berge Meere und Giganten (German Edition)

Titel: Berge Meere und Giganten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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haben sie vor. Fühlte sich erregt; konnte sie nicht loslassen. Waren das Siedler? Er war hilflos. Nach einigen Wochen konnten ihm seine Beobachter nichts mehr von dem Zug melden: er hatte sich aufgelöst. Wohl aus Hunger, tröstete sich, zweifelte Ten Keir. Die Giganten jenseits des Kanals strotzten und regten sich; er floß blaß zusammen. Saß über der Stadtschaft Brüssel. Die Kiesel vom Grund des schrecklichen London der Kuraggara und Mentusi knirschten in seiner Tasche. Er war getrieben, wußte nicht wohin.
    Nach Süden in die Landschaft, die immer reicher aufblühte, bogen die Fahrer um. In kleinen Trupps wanderten sie, hielten Berührung miteinander. Als die schwarzen Argonnerberge vor ihnen auftauchten und sie anfingen in der Menschenöde zu hungern, wartete Kylin eine Woche, bis alle Trupps zusammen waren. Im Flußtal der Aire sammelten sich an dreitausend Menschen, auf Wagen Karren Mauleseln Pferden Ochsengespannen. Die Tannen in den Wäldern hatten hellgrüne Triebe; in einem Wäldchen junger Nadelhölzer sprach Kylin mit einer kleinen Zahl ehemaliger Unterführer: »Wir müssen uns trennen. Jetzt müssen wir uns wirklich trennen. Wir haben keine Nahrung, wenn wir beieinander bleiben. Man kann uns zusammen erschlagen. Ten Keir von Brüssel ist hinter uns.« Er ging unter den zwanzig Männern und Frauen herum. Der junge Idatto, ein sehr magerer Mensch, der die eigentümliche Fettsucht der Städter überwunden hatte, hielt ihn am Arm: »Und was soll aus uns werden?« »Du wirst nicht wieder krank werden, Idatto.« »Ich weiß. So nicht. So werde ich nicht wieder krank werden.« »Wir müssen uns trennen.« »Aber ich will bei dir bleiben. Ich werde wieder krank werden, kränker als vorher.« »Glaubst du, Idatto?« »Wir wollen uns nicht trennen, Kylin.« »Wir bleiben in kleinen Gruppen zusammen, das will ich ja auch. Aber so wie bis heut können wir nicht reisen. Du weißt selbst, wie viele hungern.« »Ich will hungern und alle wollen lieber hungern als daß wir uns verlieren. Frage Bersihand und Magin und wen du willst. Sie wollen alle lieber hungern als voneinander gehen.« Kylin ließ ihn los, stand stumm, auf den Boden blickend, bewegte die Lippen. Dann: »So sollt ihr reden.« Und nacheinander sprachen die Männer und Frauen dasselbe wie der kranke Idatto. Sie umringten Kylin, der sich immer wieder zurückzog. Sie wußten nicht, und fuhren zurück, als Kylin die hellen Augen öffnete, warum er drohte und zu schreien anfing: »Aber so tut was ihr wollt. Verhungert, laßt euch erschlagen, bleibt zusammen. Ich hindere euch nicht. Ich hab keine Macht euch zu hindern. Ihr habt auch keine Macht mich zu hindern. Ich geh von euch.« Idatto bettelte: »Warum?« »Ja, du fragst. Du fragst. Und daß du schon fragst, ist schlimm. Du bist jetzt gesund, Idatto: wozu bist du gesund? Ich staune, was ihr alle aus eurer Gesundheit macht. Nein, ich bin entsetzt, was ihr daraus macht. Ich muß es aussprechen: ich schäme mich eurer.«
    Kylin ließ sich wie müde auf den Boden, streckte sich, legte den Kopf stumm zur Seite, schob die Hände in die weiche Erde. Es war als wenn einige diese Bewegung verstanden. Die kraushaarige breite Damatile nahm den unsicheren Idatto beim Arm, sah ihm ins Gesicht: »Willst du jetzt still sein, kleiner Idatto.« Und während sie schwiegen, stand Kylin langsam auf. Damatile faßte ihn bei der Hand. Sie wollte sprechen. Aber Kylin hob beide Hände, sah sie an und sah die andern an. Und jetzt wußten alle, daß er an Grönland dachte, an die Vulkane Gletscher Urtiere. Durch sie alle schwang und dachte es. Kylin kaute an seinen dünnen Lippen: »Wir müssen uns trennen, Damatile, Freunde. Damit wir nicht zugrunde gehen.« Jetzt verstanden sie es. Der junge magere Idatto weinte an der Erde. Kylin hörte ihm eine Weile still zu. Man hörte nur das Weinen des jungen Menschen. »Was wollen wir weiter miteinander sprechen, Freunde, und uns erregen. Sagt es den anderen draußen. Sagt es ihnen deutlich. Aber sie werden schon verstehen, wofür wir leben müssen.«
    Noch tagelang blieben sie im Tal der Aire zusammen. Als bei Kylins Gruppe vor dem Tannenwäldchen abends ein großes Lagerfeuer brannte und die Unterführer sich bei Kylin versammelten, wußten alle Trupps, daß es jetzt zu Ende war. Aber in keinem war mehr Leiden Graus Schmerz wie am ersten Tage, als man von der Auflösung der Wanderschar hörte. Erst saßen die Führer bei dem riesigen blasenden Feuer, starrten zurückgelehnt auf dem

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