Berge Meere und Giganten (German Edition)
aufgegeben. Seine linke Hand fuhr rasch nach dem Kopf; sie schien eine Hutkrempe herabziehen zu wollen, blieb dann, das Haar berührend, auf der Schläfe liegen.
»Ich werde mit ihnen gehen« war es durch den grauen Mann gezuckt, »es ist auch meine Sache.« Mit Macht schrie das durch ihn, war da. Er fühlte eine Schwäche; aber er war es, der es schrie. Er sah Delvil vor sich, dachte: »Er ist mein Feind. Ich werde mich diesen Jubelnden hingeben.« Es bebte in ihm fern, wie damals, als die Balladeuse ihn anfaßte. Und während das gleichmäßige Singen wieder begann, stieg er allein die Treppe zum fünften Raum im Turm hinauf. Neben ihm, durch das Fenster, zitterten feine starre Drähte hinaus. Er sah unten die schwarze Masse, die bunten Fahnen: »Gewalt, Marduk! Sieh deinen Boden, Marduk! Dein Leben! Willst du dich hinunterstürzen?«
Seine Verwirrung Verzweiflung merkte niemand, wie er stark die Anlagen und Posten im Lande beging, fast täglich mit dem Senat sich besprach. Ein furchtbarer Abscheu stieg mit Gewalt von Zeit zu Zeit in ihm auf, vor dem Ratsgebäude der Schädelpyramide dem Senat dem Volk. Ein zum Ekel gesteigerter Widerwille vor sich und aller Welt, den er mit äußerster Anstrengung herunterdrückte. Inzwischen strahlte er nach außen und strömte Kraft aus. Als er eines Nachts einen Traum von einem Spiegel hatte, – er blickte in einen Spiegel, sah mit Schrecken seine weißen Lippen, die in der Mitte geplatzt waren, Blut verspritzten; er näherte sich der Spiegelfläche, rieb sie, daß sie warm würde, das Blut stünde, – verlangte ihn nach Jonathan. Er sprach sich vor: es fängt alles von vorn an. Plötzlich ganz unvermutet erhob sich vor ihm mit Gewalt das Bild Jonathans: er konnte nicht verstehen, welche tiefe Inbrunst ihn erfüllte und wie er mit tiefer Inbrunst an Jonathan dachte. Die Dinge liefen so schlimm in der Stadtschaft, dachte er, das wußte Jonathan, mußte er wissen: dies war sein Freund, er erfuhr nichts von ihm, er sollte ihm zur Seite stehen. Er zog sich an, einen hellgelben Überwurf trug er mit Silber bestickt. So erwartete er stundenlang Jonathan; an die Wand seines Befehlszimmers gelehnt, der graubärtige Mann. Er empfand zwischendurch einen Grimm auf sich, daß er die englischen Abgesandten frei aus dem Land gelassen hatte; man hätte sie zerschmettern hinwerfen massakrieren müssen. Jonathan, Jonathan würde kommen.
Trompetenblasen von unten. Das Land bewegte sich. Wie Marduk auf das Blasen sich vorwärts bewegte, stand der weiße jünglinghafte Mensch vor ihm. So unversehens stand Jonathan vor ihm, daß Marduk Sekunden anhielt, auf den blau und schwarz gemusterten Teppich blickte und dann die Augen auf die Menschenfigur gleiten ließ, weil er nicht sicher war, ob dies ein lebender oder ein aus seinen Träumen gequollener Jonathan war. Weißgekleidet wie immer stand Jonathan im Zimmer mitten unter einem Lichtträger, mit zartblauen Stikkereien an Kragen und Ärmeln, die Arme gekreuzt und sich verneigend, blühend lächelnd, die Augen dunkel, die Brauen schwärzlich dicht, als ob Raupen im Bogen über die Lider krochen. Das setzte sich der Gelbgekleidete in den Schatten. Nahm eine schwarze zusammengelegte Samtdecke von der Lehne des Sessels, zog sie sich über die Knie, betrachtete den Menschen. Und länger immer länger starrte er diese bewegliche Erscheinung an, blühende Wangen, weißen umgebogenen Seidenkragen. Bewegte die Lippen: »Ich habe an dich gedacht, Jonathan.« »Du erlaubst, daß ich mich setze.« »Was treibst du, Jonathan.« »Wir haben uns lange nicht gesehen, Marduk. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, als ob du Verlangen nach mir hattest.« »Ich freue mich, dich zu sehen. Wie herrlich jung du geblieben bist.« »Mein Tag vergeht einer wie der andere. Ach, wenn ich mich hier umblicke –« »Blick dich nur um.« »Ich kann hier stehen gehen mich umblicken: es beunruhigt mich nichts.« »So fern bist du mir. Das willst du mir sagen.« »Ich bin dir Freund wie noch nie. Ich kann dich jetzt erst ansehen. Ich sehe dich jetzt zum ersten Male. Ich bin dir dankbar, daß du mich hast rufen lassen, daß ich dies fühle.« »Dies willst du mir sagen.« Und Marduks Inbrunst wuchs, wie er das hörte. »Auch ich, Jonathan, bin dir noch nie so wohlgesinnt gewesen wie jetzt. Ich freute mich schon seit Stunden dich zu sehen. Ich glaube, ich habe heute nacht von dir geträumt.« »Soll ich dir sagen, wovon ich heute nacht geträumt habe, Marduk. Ich träumte von Elina,
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